Doch die Schweizer Forscher wandten in ihrer Luchs-Studie auch eine neuere Methode an: „Spatial Capture Recapture“ (SCR). Bei diesem Modell wird für jedes Tier, das mehrfach in eine Fotofalle getappt ist, eine Art Bewegungsprofil angefertigt. Dazu werden die Orte der Luchsaufnahmen berücksichtigt. Der Computer errechnet das potentielle Revierzentrum jeder Katze. Die Populationsdichte wird mittels Bayesscher Statistik errechnet. Dieses mathematische Netz bildet eine Wahrscheinlichkeitsverteilung ab, die Auskunft über die Populationsdichte der Tiere gibt.
Überlappungen verfälschen Statistik
Das Ergebnis der Studie: Die Luchsdichte veränderte sich im SCR-Modell so gut wie gar nicht, wenn die Größe des Untersuchungsgebiets oder die Zahl der Kameras geändert wurde. Anders klassische CR-Modelle: „Wurde in unserer Studie die Populationsdichte von CR-Modellen abgeleitet, wurde sie kleiner und kleiner, je größer das Untersuchungsgebiet gefasst wurde“, schreibt das Team um Fridolin Zimmermann und liefert die Erklärung mit: Revierüberlappungen. Ist das erforschte Gebiet zu klein, tauchen dort überproportional viele umherstreifende Artgenossen aus Nachbarrevieren auf, die dann die Fotostatistik mitbevölkern und verzerren.
Der Verfälschung durch Revierüberlappungen versuchen Forscher vorzubeugen, indem sie in CR-Modellen eine Pufferzone zum Untersuchungsgebiet addieren. Bei deren Fläche orientiert man sich an der Entfernung, die ein Tier laut Fotofallennachweis zurückgelegt hat. Wurde ein bestimmter Luchs an mehreren Orten geblitzt, ermitteln Forscher die maximale Entfernung zwischen diesen Punkten. Auf Basis dieser Distanzen schlagen sie dem untersuchten Areal eine Pufferzone zu.
Untersuchungsgebiete zu klein
Doch dieser Ausweg löst nicht immer das Problem: Zu kleine Untersuchungsgebiete bedeuten, dass die ermittelten Wanderstrecken der Luchse zu kurz ausfallen. Konsequenz: Die Pufferzone fällt zu klein aus – und die errechnete Populationsdichte zu hoch. In der Praxis fassen Wildbiologen die Studiengebiete oft zu klein – gezwungenermaßen, denn auf hundert Quadratkilometer kommen zum Beispiel in der Schweiz nur ein bis drei Luchse. In Skandinavien ist die Luchsdichte wegen knapper Beute noch viel geringer.
Ähnlich zum Beispiel der Sibirische Tiger: Die 160 Quadratkilometer Fläche Liechtensteins würden kaum als Revier für einen einzigen Amur-Tiger reichen. Für eine aussagekräftige Bestandserhebung, so die KORA-Studie, brauche es aber mindestens 20 „Wiederfang“-Fotos.
Dazu gesellt sich ein weiteres Manko: Ein zu kleines Areal bildet meist nicht alle Arten von Habitaten ab. Zuweilen picken sich Forscher ein kleines Idealhabitat aus der Natur, weil sie sicher sein wollen, dass genug Tiere vor die Kamera laufen. Stark fragmentierte Lebensräume werden eher links liegen gelassen. Die Folge, so Zimmermann, ist dann: „Die gemessenen Dichten entsprechen somit nicht der durchschnittlichen Dichte, in der die Art vorkommt.“
Kai Althoetmar
Stand: 25.07.2014