Wie weit fortgeschritten die Indus-Kultur bereits vor gut 4.500 Jahren war, zeigt sich auch an ihrem vereinheitlichten und erstaunlich genauen System von Maßeinheiten. Vermessungen der Indus-Städte ergaben, dass viele Gebäude, Plätze und selbst die Lehmziegel festen Größenverhältnissen zu folgen scheinen. Und diese lassen sich auf einen einheitlichen kleinsten gemeinsamen Nenner herunterbrechen: 17,6 Millimeter – höchstwahrscheinlich die Grundeinheit des Indus-Maßsystems.
Präzise Regeln
2008 stießen Archäologen bei Ausgrabungen in der Indus-Stadt Kalibangan auf den tönernen Querbalken einer Waage, in den in regelmäßigen Abständen Linien eingeritzt waren – alle 17,6 Millimeter. Mehrere kleinere Markierungen dazwischen kennzeichneten offenbar Untereinheiten dieses als Angulam bezeichneten Maßes. „Schon zum jetzigen Zeitpunkt können wir sagen, dass die Harappa-Architekten und Steinmetze nicht an zufällige Konstruktionen glaubten, sondern präzisen Regeln der Proportion und Ästhetik folgten“, erklärt der Indus-Experte Michel Danino.
Dass die Bewohner des Indus-Reiches auch in punkto Gewicht systematisch vorgingen, entdeckten Archäologen bereits bei den ersten Ausgrabungen in Mohenjo Daro im Jahr 1931. Sie stießen auf mehrere würfel- und quaderförmige Klötzchen aus Kalkstein, die unterschiedlich groß waren. Im Laufe der weiteren Ausgrabungen wurden auch in anderen Städten solche Klötzchen entdeckt, die den ersten Funden ähnelten wie ein Ei dem andern. Worum aber handelte es sich?
Referenzgewichte für den Handel
Ein Indiz lieferten die Fundorte: Die Klötzchen tauchten meist dort auf, wo sich auch Relikte von Waren, Siegeln und anderen Paraphernalien des Handels fanden. Inzwischen ist klar, dass diese Klötzchen Referenzgewichte darstellen – sie wurden beim Wiegen von Handelsgütern genutzt. Die Basiseinheit war dabei offenbar etwas leichter als unser Gramm, die kleinsten Klötzchen bringen 0,89 Gramm auf die Waage.
„Die Indus-Gewichte sind extrem standardisiert: Innerhalb einer Gewichtsklasse weichen sie nur um rund sechs Prozent voneinander ab“, erklärt Mayank Vahia vom Tata Institute for Fundamental Research in Mumbai, der seit etlichen Jahren die Maße und Schrift der Indus-Zivilisation erforscht.
Nadja Podbregar
Stand: 09.05.2014