In den beiden Romanen „Von der Erde zum Mond“ (1865) und „Reise um den Mond“ (1870) dehnt Jules Verne die Eroberung des Raumes über die Erde hinaus aus. Sein Held Michel Ardan versucht, eine neugierige Menge von dem Projekt zu überzeugen, indem er behauptet: „›Entfernung‹ ist ein ganz relatives Wort, das man in Zukunft mit ›Null‹ gleichsetzen kann. So wie wir heute von Liverpool nach New York spazieren, wird man von der Erde zum Mond spazieren. Durchquerung des Ozeans, Durchquerung des Weltraumes – wo liegt da der grundsätzliche Unterschied?“
Realer Visionär als Vorbild
Das historische Vorbild für Ardan war Vernes Freund, der Fotograf Felix Nadar, eine schillernde Persönlichkeit, die in Paris unter anderem durch die Konstruktion des Riesenballons „Le Géant“ berühmt geworden war. Verne schildert ihn als einen Visionär, der „in das Unmögliche verliebt ist, der versucht, der probiert, mehr oder weniger Erfolg hat, letztlich aber eine Sache in Gang bringt; dann mischen sich die Gelehrten ein, reden, schreiben, rechnen, und eines schönen Tages
tritt der Erfolg vor aller Augen zutage!“
Im Roman ist es Ardans Ziel, den Mond zu kolonialisieren, ihn landwirtschaftlich zu nutzen und dort Hunde zu züchten. Dem Abenteurer Ardan stellt Verne den Ingenieur Impey Barbicane zur Seite. Der Präsident des amerikanischen Kanonenclubs sucht für seine nach dem Ende des amerikanischen Sezessionskrieges untätigen Freunde eine neue Aufgabe. Sie sollen ihr Können durch eine technische Herausforderung bisher unbekannten Ausmaßes unter Beweis stellen: die Konstruktion einer Kanone, die ein Geschoss von der Erde zum Mond transportiert.
Großforschung vorweggenommen
An diesem Mondprojekt werden im Laufe der Handlung 2.000 Menschen beteiligt; seine Finanzierung kann nur dank internationaler Subskriptionen gesichert werden. Aus dem ursprünglichen Geschoss wird eine bemannte Raumkapsel. Verne nimmt hier nicht nur den Gedanken späterer Großforschungsprojekte vorweg, sondern auch ihre Realisierung durch internationale Kooperationen.
Vorausschauend ist auch die Thematisierung der unerwarteten und riskanten Folgen eines solchen Großprojekts. Der Start der Raumkapsel führt am Ende des ersten Bandes zu einer Naturkatastrophe, die sich vom Ort des Abschusses in Florida in einem Umkreis von 300 Seemeilen von der amerikanischen Küste auswirkt: Durch den Rückstoß der Kanone wird ein Beben ausgelöst, auf das eine Windhose folgt.
„Die Menschen fielen wie Ähren unter der Sichel, Tausende wurden verletzt und getötet […] 300.000 wurden auf der Stelle mit Taubheit, Blindheit und Entsetzen geschlagen.“ Am Ende des zweiten Bandes, den Verne fünf Jahre später schrieb, sind diese Schrecken allerdings vergessen: Nach ihrer glücklichen Rückkehr beschließen die Raumfahrer, eine interstellare Kommunikationsgesellschaft zu gründen, die eine regelmäßige Verbindung zum Mond aufbauen soll.
Bezeichnend für Verne ist, dass er seine Mondfahrer vom Kurs abkommen lässt, so dass sie den Mond nicht betreten. So vermied er es, über Dinge spekulieren zu müssen, die er nicht aus vorhandenem Wissen extrapolieren konnte. Ardan und Barbicane umrunden lediglich den Erdtrabanten, wobei sie sich die Frage stellen, ob er bewohnt ist und ob die Seleniten primitiver
oder fortschrittlicher sind als die Erdbewohner.
Anne Hardy / Forschung Frankfurt
Stand: 11.04.2014