Am nächsten Tag hat Hanna einen Kater, neben dem Kokain hat sie viel Alkohol getrunken. Die Nachwirkungen des Kokains machen sie melancholisch, vielleicht sogar depressiv. Obwohl die Sonne scheint, erfreut sie sich kaum am strahlenden Himmel und den frühlingslaunig zwitschernden Vögeln. Ihr Kopf schmerzt, die Dopamin-Reserven sind aufgebraucht. Die Lust, erneut das Hochgefühl zu erleben, ist da – soll sie noch einmal Jens anrufen? Oder reicht es, wenn sie sich ein Bier aus dem Kühlschrank holt? Ein im Volksmund salopp als „Konterbier“ betiteltes Bier auf den Kater soll ihn vertreiben. So werden die unangenehmen Nachwirkungen durch erneute „Glückszufuhr“ kaschiert.
Wie Hanna sich entscheidet und wie es bei ihr weitergeht, ist ungewiss. Ob eine Abhängigkeit von einer Substanz entsteht, ist individuell sehr verschieden und situationsabhängig. Zu komplex sind die dahinter steckenden Mechanismen. Das Dopamin-Belohnungssystem ist nur ein – durch die Wissenschaft sehr gut untersuchtes Beispiel – welches illustriert, wie die Verknüpfung zwischen Positivgefühl und der Einnahme einer Substanz oder einem zum Beispiel durch das Spielen erzielten Kick entsteht. Ist ein solcher Zusammenhang im mesolimbischen System des Gehirns jedoch erst einmal etabliert, kann sich eine Abhängigkeit ausbilden – muss aber nicht.
Körper und Geist spielen zusammen
Im Zentrum des Belohnungssystems steht dabei der sogenannte Nucleus accumbens – ein Hirnareal im Vorderhirn. Es verbindet Regionen des Gehirns miteinander, die für Motivation, Emotion, Kognition und Bewegung zuständig sind. Die hier ablaufenden neuronalen Prozesse steuern, welche Erfahrungen als positiv oder negativ bewertet und abgespeichert werden. Es bildet sich ein Gedächtnis aus, das uns auf Reize je nach „Erinnerung“ unterschiedlich reagieren lässt. Dabei ist nicht klar zu trennen, welche Aspekte psychisch und welche physiologischer Natur sind. Wie komplex das Zusammenwirken beider aber ist, illustriert das folgende Beispiel.
In Versuchen mit Affen zeigte sich, dass die wiederholte Aktivierung des Belohnungssystems durch Zuckersaft dazu führen kann, dass dann allein die Ausführung einer mit einem positiven Gefühl verbundenen Handlung bereits glücklich macht – ohne die eigentlich auslösende Droge. Im Experiment ersetzen die Forscher dafür nach einiger Zeit den süßen Saft, den die Tiere als positiv abspeicherten, durch etwas anderes. Das Trinken dieser Flüssigkeit machte die Versuchstiere aber genauso glücklich, obwohl es kein süßer Saft mehr war.
Placebo-Drogen
Ähnliche Untersuchungen führten auch bei Ratten sowie abhängigen Menschen dazu, dass eine Placebo-Droge, eingenommen in der vertrauten Konsumumgebung oder in Verbindung mit einem mit der Droge assoziierten Reiz, zunächst den gleichen oder zumindest einen ähnlichen Effekt hatte wie etwa ein echter Heroinschuss. Man könnte meinen, dass auf diese Weise leicht eine Droge oder eine süchtig machende Handlung kompensiert werden könnte. Doch weit gefehlt: Denn physische und psychologische Faktoren wirken bei der Sucht so eng zusammen, dass der Placebo-Effekt nur von kurzer Dauer ist und das Gehirn schnell „merkt“, dass der eigentliche Auslöser fehlt.
So spielen nicht nur Suchtreiz und die Reaktion darauf bei der Abhängigkeitsentstehung eine Rolle. Weitere Faktoren müssen hinzukommen. Dabei kann etwa die Lebenssituation des gefährdeten Menschen begünstigend wirken. Und schließlich ausschlaggebend dafür sein, ob sich tatsächlich eine Substanzabhängigkeit oder eine psychiatrisch auch als Impulskontrollstörung oder Zwangsstörung klassifizierte Verhaltenssucht ausbilden.
Stand: 22.02.2013