War ich schon hier? Befinde ich mich in einer bekannten Umgebung oder ist alles neu für mich und muss erforscht werden? In Bruchteilen von Sekunden weiß unser Gehirn, ob zum Beispiel ein Ort bekannt ist oder nicht. Ist er es nicht, prägen wir uns bewusst eine räumliche Konstellation ein, etwa anhand markanter Punkte wie Restaurants, Einkaufsläden oder einem Park. Für diese Informationen entsteht quasi ein neues Gedächtnis im Gehirn – auch episodisches oder autobiographisches Gedächtnis genannt.
Unbewusst oder bewusst
Dieses episodische Gedächtnis ist Teil des deklarativen Gedächtnisse. Dieses umfasst alle Erinnerungen, die wir bewusst abrufen. Dazu gehören sowohl Erinnerungen an Fakten und Tatsachen, als auch Erinnerungen an Ereignisse und Erfahrungen in unserem Leben. Aber in unserem Gehirn sind auch unbewusste, nicht-deklarative Gedächtnisinhalte gespeichert. Sie können wir nicht bewusst abrufen, nachdem wir sie gelernt haben, sie stehen uns aber zur Verfügung. Dazu gehören Fähigkeiten wie Fahrradfahren, Klavierspielen oder ganz einfache Reflexe.
Zuständig für die Einprägung des bewussten Gedächtnisses ist die als Hippocampus bekannte Region des Gehirns. Patienten, denen diese Hirnlappen operativ entfernt wurden, können sich zum Beispiel überhaupt keine neuen Fakten oder Erfahrungen merken. Der Hippocampus ist unser wichtigstes Lernorgan. Ohne ihn können wir keine langanhaltenden deklarativen Erinnerungen bilden. Er ist auch die Struktur, die am schwersten betroffen ist bei gedächtnisschädigenden neurodegenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel bei der Alzheimerschen Krankheit und bei Demenz. Seinen Namen hat er wegen seiner einem Seepferdchen (lateinisch Hippocampus) ähnlichen Form erhalten.
Das Gedächtnis ist keine Computerfestplatte
Möglich werden unsere bewussten Erinnerungen durch Änderungen bei der synaptischen Übertragung im Gehirn. Dieses Phänomen der synaptischen Plastizität gewährleistet, dass unsere Hirnzellen sich an wechselnde Bedingungen oder Erlebnisse anpassen, aber auch erinnern können. Wenn wir uns etwas langfristig merken möchten, ändert sich die Übertragung der Nervensignale dauerhaft. Aber nichts wird festgeschrieben wie auf einer Computerfestplatte:
Mittlerweile liegen viele Beweise vor, dass jede autobiografische Erinnerung nach dem Abrufen wieder frisch gespeichert wird. Das heißt letzten Endes, dass eine vermeintlich feste Erinnerung, zum Beispiel an Ereignisse unserer 21. Geburtstagsfeier, schon deshalb fehlerhaft sein kann, weil wir bei jedem Abruf das Geschehen ein bisschen modifizieren. Nur deklarative Erinnerungen, die verglichen und überprüft werden können (z.B.: Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland), bleiben nach dem Abruf unverändert. Und es gilt der Spruch „use it or lose it“: Erinnerungen und Gelerntes, das wir nicht regelmäßig abrufen, werden zunehmend lückenhaft und werden uns irgendwann verloren gehen.
Denise Manahan-Vaughan / RUBIN -das Wissenschaftsmagazin der RUhr-Universität Bochum
Stand: 20.04.2012