Am Beginn des ägäischen Schiffbaus standen die Boote der Kykladen-Einwohner (circa 3000 bis 2200 v. Chr.), deren äußere Formen als dekorative Einritzungen auf den „Kykladenpfannen“, einer markanten Form der lokalen frühbronzezeitlichen Keramik, erhalten sind. Die Auswertung dieser sehr kursorischen Bilder ist nicht leicht. Einigkeit herrscht unter den Wissenschaftlern nur in zwei Punkten: Bei den kykladischen Langbooten handelt es sich einerseits um sehr große Einbäume mit einer aufgesetzten Planke zur Erhöhung der Bordkante. Andererseits wurden die Boote mit Paddeln vorangetrieben.
Viele offene Fragen
Andere Fragen werden hingegen immer noch sehr kontrovers diskutiert: Wie groß waren die Boote? Wo befanden sich Bug und Heck? Woher stammte das Baumaterial? Stellen die Striche und Dreiecke oberhalb der Rümpfe, die in der Regel als Paddler interpretiert werden, die komplette Besatzung dar oder nur eine Reihe auf einer Seite des Bootes? Was bedeutet der Knick in den Kiellinien? Wozu dienten die Finnen mit den Fischdarstellungen? Durch ethnologische Vergleiche, digitale Rekonstruktionszeichnungen und die Erstellung eines Modells im Maßstab 1:10 konnten für all diese Fragen plausible Antworten vorgeschlagen werden.
In keiner der regionalen Kulturen der bronzezeitlichen Ägäis hatten riesige Einbäume eine lange Tradition. Die für den Bau großer Einbäume verwendeten Bäume benötigten zwischen 600 und 1.000 Jahre Wachstum. Die Einbäume konnten jedoch maximal eine Generation lang verwendet werden, bis sie zu verrotten begannen. Die Baumbestände verringerten sich schneller als sie nachwachsen konnten. Es wurde immer schwieriger, geeignete Bäume zu finden, sodass die Ressourcen bald erschöpft waren.
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Weißtanne und Orientfichte als Baumaterial
Für den Bau ähnlich großer Schiffe auf den Kykladen kommen nur zwei Holzarten in Betracht: die Stämme der Weißtanne und die der Orientfichte. Sie werden 60 bis 65 Meter groß bei einem Stammdurchmesser von zwei Metern. Beide Arten wachsen bevorzugt in Höhen zwischen 1.000 und 2.000 Metern an der Westküste Griechenlands. Auf den Kykladen selbst waren und sind sie nie heimisch gewesen.
Der Bau solcher riesigen Einbäume vollzog sich in allen Kulturen nach dem gleichen Muster: Der Stamm wurde grob bearbeitet und ausgehöhlt. Danach wurde der Rohling gewässert und an die eigentliche Baustelle zur Fertigstellung transportiert. Das breitere Ende des Stammes bildete immer den Bug eines Einbaums. Das Tonmodell eines Bootes aus der kretischen Siedlung von Palaikastro zeigt uns, dass sich die Finne am Heck befindet, denn der niedrige Teil des Rumpfes ist gleichzeitig der breitere – also der Bug. Der eigentümliche Knick auf den Kiellinien der Ritzzeichnungen entsteht durch das Ausformen der Bugpartie: Der Stamm wurde spitz zugearbeitet und die entstehenden Flanken konkav ausgebildet.
Thomas Guttandin, Diamantis Panagiotopoulos und Gerhard Plath / Forschungsmagazin „Ruperto Carola“ der Universität Heidelberg
Stand: 12.10.2011