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Mit der Erfahrung stieg der Anspruch von Thomas Schauer vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg an seine Elektrostimulationsprogramme; zuerst die Versuche am Fahrrad und am Ergometer, bei denen der Patient durch die Drehbewegung der Pedale noch sicher geführt und gehalten wird; dann das Gehen in der Schwebe über dem Laufband; schließlich noch mehr Komplexität: das freie, stolperfreie Spazieren. Etwa jeder fünfte Schlaganfallpatient, der seine Lähmung erfolgreich wegtrainiert hat, behält einen „Fallfuß“.
Hirn spricht Fußheber nicht richtig an
Bei dieser Fehlsteuerung spricht das Hirn den Fußheber nicht richtig an, jenen Muskel, der die Fußspitze nach oben zieht, wenn der Fuß nach vorn schwingt. Anfangs stolpert der Patient, weil die Fußspitze baumelt. Mit der Zeit gewöhnt er sich eine Ausweichbewegung an: Er schleift den Fuß seitlich im Halbkreis nach vorn. Das verhindert zwar das Stolpern. Doch dieser wackelige Gang strengt an. Treppensteigen wird zur schweißtreibenden Herausforderung.
Auch für den Fallfuß gibt es seit einigen Jahren Gehhilfen mit Elektrostimulationsfunktion. Der Patient trägt Schuhe mit druckempfindlichen Sensoren. Löst sich der Fuß vom Boden, schickt der Sensor unter der Schuhsohle einen Befehl an den Stimulator: Nun folgt ein so starker Stromstoß, dass der Fuß weit hochgehoben wird – eine Sicherheitsmaßnahme, damit niemand stolpert. Entsprechend schnell ermüdet der Muskel. Diese üblichen Systeme leisten also nicht mehr als das simple An-Aus. An den Zustand des Muskels oder die Beinarbeit des Patienten passen sich diese Geräte nicht an. Wieder bringt der Regelkreis die Lösung.
Sensor direkt am Schuh
Doch wie lässt sich ein Fallfuß muskelfreundlich und positionsgenau regeln? Um sicher zu gehen, muss der Fuß perfekt aufsetzen, abrollen, abheben – auf Sekundenbruchteile genau. Einer von Jörg Raischs Doktoranden am Magdeburger Institut hatte die zündende Idee: Ein solches System müsste sich doch exakt regeln lassen, wenn man die Position des Fußes genau bestimmt – am besten mit einem Sensor direkt am Schuh. Der Forscher tüftelte eine ganze Promotion lang und lieferte schließlich einen kleinen Sensor, der sich an einen Schuh klicken lässt. Das flinke Gerät errechnet innerhalb von Millisekunden die Höhe, die Beschleunigung, die Position und den Winkel des Fußes.
Eine schnelle Lagebestimmung allein aber reicht nicht, denn die Muskeln müssen ebenso schnell befeuert werden. Zur schnellen Positionsbestimmung gehört deshalb auch eine flotte Regelung. „Uns wurde schnell klar, dass das ganze System zu langsam arbeitet, wenn wir versuchen, die Position während des Vorwärtsschwingens zu berechnen und gleichzeitig die Stimulationsintensität anzupassen“, sagt Schauer. Ein Muskel ist einfach zu träge. Ehe er auf den Strompuls reagiert, hat der Fuß schon wieder aufgesetzt.
Geschmeidige Fallfuß-Korrektur
Die Software wertet die Daten deshalb nach jedem einzelnen Schritt innerhalb von Millisekunden aus und hat vor dem nächsten Schritt bereits ein angepasstes Stimulationsmuster parat. Das System lernt also permanent aus den vergangenen Schritten und passt die Erregungspulse für jeden folgenden Schritt an. „Iteratives Lernen“, nennt Raisch diese Strategie. Sie macht erstmals eine geschmeidige Fallfuß-Korrektur möglich.
Tim Schröder / MaxPlanckForschung
Stand: 29.07.2011