Weil das Dauerfeuer der Gehirnrezeptoren wichtige Signale des Körpers überdeckt, wird bei den meisten Neuro-Enhancern der Antrieb zum Essen, Trinken oder Schlafen unterdrückt, auch die Entscheidungsfähigkeit leidet. „Ich hatte keinen Hunger mehr und keinen Durst, wusste nicht mehr, welche CD ich hören und welche Hose ich anziehen wollte“, beschreibt ein anonym bleibender Student in der „Zeit“ die Wirkung von Ritalin.
Auch die eigentlich erwünschten Effekte können unter Umständen ins Negative umschlagen. Die übersteigerte Konzentration wird dann zu einer Fixierung, geht in eine kaum mehr steuerbare Richtung. Statt zu lernen oder eine Hausarbeit zu schreiben, ertappen sich die Nutzer dann plötzlich dabei, wie sie ihre CD-Sammlung akribisch sortieren oder einen Wohnungsputz veranstalten. Der in der „Zeit“ schreibende Student verliert sich bei einem Klogang während einer Klausur so in seiner Fixierung auf den Händetrockner, dass er fast vergisst, wieder in den Prüfungsraum zurückzukehren. „Ja, ich bin ein Zombie, aber ein Zombie, der lernt wie eine Maschine“, schreibt er.
Die Sache mit den „Rebound“
Nahezu allen Neuro-Enhancern gemeinsam ist auch der so genannte „Rebound“-Effekt: Werden sie abgesetzt, fällt das übersteuerte Gehirn nicht direkt in den Normalzustand zurück. An die ständige Überdosierung mit Hirnbotenstoffen gewöhnt, wirkt der natürliche Hirnstoffwechsel nun wie ein Mangel. Erst allmählich pendelt sich das sensible Gleichgewicht wieder ein. Die Folge: nach dem Nero-Enhancer induzierten Höhenflug folgt ein ziemlich unsanfter Absturz. Experten stufen die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit bei solchen Mitteln daher als durchaus real und potenziell besorgniserregend ein, auch wenn die Hersteller von Ritalin und Co. bei normaler Dosierung dafür keine Hinweise sehen (wollen).
„Ich habe drei Monate lang jeden Morgen 100 Milligramm Modafinil eingenommen, hörte aber auf, nachdem ich Herzschmerzen bekam“, schreibt eine Schülerin in einem Online-Forum. „Nach dem Absetzen hatte ich einen Cold Turkey, ich begann, mich extrem müde zu fühlen und war unfähig, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren.“ Dieser Einbruch der Leistungsfähigkeit bringt sie dazu, das Mittel prompt wieder einzunehmen – trotz der Warnsignale ihres Körpers. Ähnliches berichtet ein Student in der „Zeit“: „Wenn die Wirkung nachließ, wurde ich unkonzentrierter als vorher und statt mich zusammenzureißen, überlegte ich, wo ich wieder Ritalin herbekommen konnte.“
Wenn der Ausnahmezustand zur Norm wird
Und auch ohne diesen Absturz, der sich bei einigen Mitteln durch ein „Ausschleichen“ verhindern lassen soll, könnte das Gehirn-Doping bei einigen Menschen schnell vom „Kann“ zum „Muss“ werden: „Es ist nämlich ein Fehlschluss, nur noch bis zur nächsten Hürde auf das Doping setzen zu wollen und ab dann plötzlich ‚clean‘ zu werden“, erklärt der an der Universität Groningen forschende Psychologe Stefan Schleim. „Wenn man die Hürde nur noch mit Hilfe leistungssteigernder Mittel schafft, dann ist es unwahrscheinlich, auf höherer Stufe plötzlich ohne die Helfer auszukommen.“ Im Klartext: Das permanente Abrufen von Höchstleistungen wird irgendwann zur Norm für einen selbst und die Umwelt.
Ein Heer von Buchhaltern?
Einige Forscher vermuten zudem, dass die kognitive Leistungssteigerung auf Kosten anderer Fähigkeiten wie beispielsweise Kreativität oder Sozialkompetenz gehen könnte. „Mehr und mehr junge Leute nehmen diese Wirkstoffe um besser arbeiten zu können. Sie haben ihren Laptop, ihr iPhone und ihr Adderall“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Martha Farah von der Universität von Pennsylvania. „Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass wir hier eine Generation von sehr fokussierten Buchhaltern heranziehen.“
Der deutsche Journalist und Wissenschaftsautor Jörg Auf dem Hövel hat das Narkolepsie-Mittel Modafinil mehrfach im Selbsttest ausprobiert, sowohl beim Arbeiten als auch bei einer Technoparty. Sein Fazit sieht dabei ganz ähnlich aus: „Mit schwant, dass Modafinil seinen Platz vor allen dort finden wird, wo wenig Kreativität und viel Arbeitsleistung gefragt ist. Merkfähiger oder gar kreativer macht es nicht, eher breitet sich Fließbandatmosphäre im geistigen Raum aus.“
Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011