Im Sport ist die Sache klar: Doping verschafft häufig das entscheidende Quäntchen mehr an Geschwindigkeit, Kraft oder Ausdauer. Die pharmazeutischen Hilfsmittel steigern die Leistung über das Maß hinaus, das durch Training allein zu erreichen wäre oder sie helfen dabei, ein Formtief auszugleichen. Aber: Wer dopt, handelt gegen die Regeln. Wird er erwischt, folgt der Ausschluss von allen Wettbewerben und im Extremfall ist die Karriere als Leistungssportler damit für immer beendet. Seine Leistung wird nicht mehr anerkannt, er gilt als unfairer „Betrüger“.
Weitaus weniger klar ist die Lage im Bereich des „Gehirn-Dopings“: Ist es schon unfair, wenn ich vor einer Prüfung Ritalin oder Modafinil nehme, um fokussierter arbeiten zu können? Oder erst dann, wenn ich dank Neuro-Enhancement bei einem Vorstellungsgespräch den besseren Eindruck hinterlasse und einer Konkurrentin dadurch den Job vor der Nase wegschnappe?
Ein Nullsummen-Spiel
Für den Mediziner und Psychologen Stefan Schleim von der Universität Groningen wird die Fairness spätestens dann verletzt, wenn mich ein anderer nicht aufgrund von dessen Tüchtigkeit, sondern wegen der Einnahmen leistungssteigernder Mittel überholt, die im Wettbewerb nicht jedem zur Verfügung stehen. Er vergleicht das Gehirndoping mit dem Nullsummen-Spiel des Gefangenendilemmas:
„Der Nutzer des Gehirndopings hängt von der Entscheidung des Konkurrenten ab: Greift er ebenfalls zu den Pillen, dann hat keiner von beiden einen Vorteil, sondern bloß Nachteile. Die Effektivität des Psycho-Enhancements geht damit wesentlich von einer ungleichen Situation aus, in der nur ich meine Leistung steigere, nicht aber der andere und ist damit im Kern ungerecht.“ Die Folge dieses Ungleichgewichts wäre dann letztlich ein kognitives Wettrüsten.
Hirn-Doping nur für Reiche?
Die Frage nach der Fairness des Neuro-Enhancements hat aber auch einen gesellschaftlichen Aspekt: „Wenn kognitive Enhancements teuer sind, könnten sie eine Domäne der Reichen werden und damit die Bildungsvorteile verstärken, die diese ohnehin schon besitzen“, erklären die Autoren des 2008 veröffentlichten „Nature“-Kommentars. Wer aus weniger privilegiertem Elternhaus kommt und dadurch im Bildungssystem bereits benachteiligt ist – wie PISA und andere Studien dokumentieren – hätte dann auch hier das Nachsehen.
Im Moment sind die Mittel, denen ein positiver Effekt auf die Gehirnleistung nachgesagt wird, nur für spezielle Krankheitsbilder zugelassen und werden auch nur in diesen Fällen von den Krankenkassen gezahlt. Eine so genannte Off-Label-Nutzung, der Einsatz für ein anderes als das offiziell zugelassene Krankheitsbild, wird nicht übernommen, ein Einsatz an Gesunden ist verboten. Wer trotzdem eines dieser verschreibungspflichtigen Medikamente haben möchte, braucht daher entweder einen wohlmeinenden oder leicht zu täuschenden Arzt oder muss auf illegale und teure Quellen zurückgreifen.
…oder als sozialer Gleichmacher?
Die Gefahr einer „Optimierung nur für Reiche“ liegt daher nahe und wird auch von den Befürwortern eines nicht-restriktiven Umgangs mit solchen Mitteln eingeräumt. Eine staatliche Kontrolle und Lenkung könnte aber, so die Meinung einiger, sogar Chancen für eine gezielte Förderung Benachteiligter sozialer Schichten eröffnen: „Die selektive Nutzung von Neuro-Enhancern unter Menschen mit geringerer intellektueller Kapazität oder benachteiligten Lebensumständen, die sich keine zusätzliche Schulung leisten können, könnte die Bildungschancen für diese Gruppe verbessern“, heißt es in einem 2007 erschienenen Diskussionspapier der British Medical Association.
Ins gleiche Horn stößt eine Gruppe von sieben deutschen Forschern, die Ende 2009 ein gemeinsames Memorandum zum Thema „Das optimierte Gehirn“ veröffentlichten: „Warum, so mag man fragen, gebietet die Gerechtigkeit nicht umgekehrt eine weite und großzügig subventionierte Verbreitung von Neuro-Enhancement-Produkten gerade unter Angehörigen der benachteiligten Schichten“, fragen sie provokant. Auch die Autoren des „Nature“-Kommentars von 2008 sprechen sich durchaus für eine subventionierte Abgabe solcher Mittel aus: „Man könnte diese Ungleichheit vermeiden, indem man jedem Prüfungsteilnehmer freien Zugang zu kognitiven Enhancern ermöglicht – ähnlich wie heute einige Schulen während der Prüfungswoche Computer zur Verfügung stellen.“
Sollte es allerdings eines Tages tatsächlich „Neuro-Enhancer für alle“ geben, dann wirft dies direkt das nächste Problem auf.
Nadja Podbregar
Stand: 17.06.2011