Bjorn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie und seine Kollegen müssen das Werden und Vergehen der unterschiedlichen Wolkentypen nachvollziehen, um deren Reaktionen auf veränderte Bedingungen berechnen zu können. Diese Aufgabe dürfte kaum einfacher sein, als Geburt und Sterben eines Lebewesens zu erfassen. Denn die Zirkulation der Feuchtigkeit auf der Erde, deren sichtbarer Teil die Wolken sind, erweist sich als ähnlich komplex wie ein Organismus, dessen Funktionieren von der kleinsten Zelle ebenso abhängt wie von seinen Organen und schließlich seinem gesamten Körper.
Bausteine mit unterschiedlicher Größe
Auch die Wolken bestehen aus Bausteinen unterschiedlicher Größe. Die kleinsten schwebenden Wolkentröpfchen erreichen gerade einmal einen Durchmesser von einem hundertstel Millimeter, ein fallender Regentropfen misst mehr als einen Millimeter, die Luftwirbel der Turbulenzen in Wolken weisen Durchmesser von einem Millimeter bis zu rund hundert Metern auf.
Eine ganze Wolke kann die Ausmaße von Kilometern annehmen, Wolkenfelder erstrecken sich gar über Hunderte von Kilometern. Die großräumigen Kreisläufe der Feuchtigkeit schließlich laufen auf Strecken von mehreren tausend Kilometern ab.
Viele Rätsel um physikalische Prozesse
„Auf jeder dieser Größenskalen gibt es viele, zum Großteil noch unverstandene physikalische Prozesse“, sagt Stevens. Die Krux dabei: Die Prozesse beeinflussen sich gegenseitig über die Größengrenzen hinweg. „Man kann nicht einfach einen Teil herausnehmen, erklären und wieder hineinschieben“, erklärt Stevens die Schwierigkeit des Unterfangens. Die Kunst bestehe darin, Teil und Ganzes gemeinsam zu erforschen, indem man zwischen beiden hin- und herspringe.
Er illustriert die Kopplung von „ganz klein“ und „ganz groß“ mit Luftturbulenzen, die als entscheidend für die Lebensdauer von Wolken gelten. Fluggäste spüren sie oft im Rütteln des Flugzeuges. An den Rändern einer Wolke vermischen die Turbulenzen die trockene, klare Umgebungsluft mit der feuchten Wolkenluft. Diese Vermischung nennen Atmosphärenforscher Entrainment.
Die in die Wolke gemischte Trockenluft wirkt sich auf die Wassertröpfchen in der Wolke aus. Sie kann die Verteilung ihrer Größe verändern, sodass mehr extrem kleine oder extrem große Tröpfchen entstehen, was wiederum die Regenneigung der Wolke beeinflusst. Die eingemischte Trockenluft kann die Wassertröpfchen aber auch zum Verdunsten bringen und somit die Wolke auflösen.
Entrainment spielt sich in mikroskopischen Dimensionen ab
Das Entrainment spielt sich verglichen mit der Größe von Wolken in geradezu mikroskopischen Dimensionen ab: Die beteiligten Luftwirbel besitzen Durchmesser von Millimetern bis hin zu einigen Metern. Die Wirkung des Entrainment aber kann global sein: Wenn sich Wolken beispielsweise über dem häufig bedeckten Südostpazifik auflösen, erhöht sich die Sonneneinstrahlung auf dieses Meeresgebiet und es wird wärmer. Eine solche Entwicklung kann das Wetterphänomen El Niño auslösen.
„Bevor wir Klimaphänomene wie El Niño sicher vorhersagen können, müssen wir viele Details der Wolkenphysik begreifen, unter anderem wie stark das Entrainment im Südostpazifik dazu beiträgt, Wolken aufzulösen“, sagt Stevens. Die Aufgabe der Wolkenforscher wird noch dadurch erschwert, dass Prozesse wie das Entrainment nicht für alle Wolkentypen gleich wichtig sind. Jede Wolkenart muss also für sich untersucht werden.
Christian Meier / MaxPlanckForschung
Stand: 20.08.2010