Armee der Mikroben

Wird die Menschheit den Kampf gegen die Seuchen doch verlieren?

Sie sind überall. Und es sind viele. Sie entschieden Kriege, töteten Millionen von Menschen, blockierten die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Kontinente und bleiben doch unsichtbar – Bakterien, Viren und Protozoen. Sie haben schon lange vor uns den Planeten besiedelt und werden vermutlich die Erde noch beherrschen, wenn die Menschheit längst ausgestorben ist.

Jahrtausende hatten die Menschen unter den Mikroorganismen zu leiden. Zahlreiche Seuchen breiteten sich aus, zweitausend Jahre lang wurde ganz Europa von der Malaria in Schach gehalten, Pest, Cholera, Diphterie und Pocken taten ein Übriges. Die Pest vernichtete 1200 in China fast die Hälfte der Bevölkerung, in Karawanen wurden die Überträger – die Rattenflöhe – in Pelzen und Decken über den ganzen Kontinent verteilt. In Europa raffte die Pest immerhin jeden Dritten dahin, in Grönland sogar sämtliche Einwohner. Alexander der Große starb an Malaria, Franz Schubert an Typhus, Friedrich von Schiller und Franz Kafka an Tuberkulose.

Doch dann begann der Triumphzug der Medizin: Louis Pasteur setzte seine Lehre durch, nach der Keime nicht von selber entstehen und schuf damit den Ursprung der Mikrobiologie. Robert Koch entdeckte, dass Krankheiten wie Milzbrand oder Cholera nicht etwa durch „verdorbene Winde“ verursacht werden oder auf ungünstige Sternenkonstellationen zurückzuführen ist, sondern auf mikroskopisch kleine Lebewesen. Jetzt kannte man den Feind. Ignaz Semmelweis rettete zahlreiche Mütter vor dem Tod im Kindbett, indem er mehr Hygiene forderte, Joseph Lister reformierte die Chirurgie. Dann kam Alexander Fleming und mit ihm das Penicillin. Infektionskrankheiten schienen ihren Schrecken verloren zu haben.

Innerhalb eines Jahrhunderts machte die Medizin plötzlich so große Fortschritte wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. 1796 entdeckte Edward Jenner eine Impfung mit Kuhpocken, 1977 galten die Pocken als besiegt. Pest und Cholera sollten bald folgen. Die Schluckimpfung machte der Kinderlähmung den Garaus und in einem groß angelegten Programm wurden zahlreiche Sümpfe trockengelegt, um der Malaria Herr zu werden, dazu für rund eine Milliarde Dollar das Insektenvernichtungsmittel DDT großzügig versprüht. Großspurig erklärte General William Stewart, ranghöchster Gesundheitsbeamte der Vereinigten Staaten im Jahre 1969, nun sei es an der Zeit, das Buch der Infektionskrankheiten zu schließen.

Verfrühter Optimismus

Doch dazu ist es bis heute nicht gekommen. Hatte der Mensch in seiner Überheblichkeit geglaubt, die Jahrmillionen andauernde Weltherrschaft der Mikroorganismen innerhalb weniger Jahrzehnte zu beenden, so muss nun umgedacht werden. Die Schlacht war gewonnen, der Krieg noch lange nicht. Die Anophelesmücke, Zwischenwirt des Malariaüberträgers, wurde resistent gegen das Insektizid, allein in Deutschland werden jährlich um die tausend Malariainfektionen registriert. Auch Cholera, Tuberkulose, Diphterie und die Beulenpest traten in den letzten Jahren wieder vermehrt auf. Davon, den Krebs innerhalb der nächsten Jahre zu besiegen, spricht niemand mehr. Hinzu kommen neue Erreger. HIV, Legionellose, Ebola und BSE sind nur einige Beispiele.

Im Zuge der zunehmenden Globalisierung können sich Infektionen um ein Vielfaches schneller verbreiten als jemals zuvor. Und sie nutzen ihre Chance. Die Folge ist, dass sich keine Nation mehr in Sicherheit wiegen kann. Neue Heilmittel bleiben aus, nahezu hilflos scheint man insbesondere den Viren gegenüberzustehen, die ständig neue Formen bilden und das Immunsystem mit einer schier unerschöpflichen Zahl neuer Antigene überfordern.

Doch das ist nicht alles. Hinzu kommt, dass unsere wirksamste Waffe im Kampf gegen die Infektionskrankheiten stumpf geworden ist: Die Antbiotika. Die Zahl der resistenten Bakterien wächst ständig, die Suche nach neuen Antibiotika wurde lange Zeit vernachlässigt. Zu sicher war man sich, einen Sieg über die Mikroorganismen errungen zu haben. Und die Entwicklung neuer Waffen braucht seine Zeit. Pharmakologen schätzen, dass nur alle zehn Jahre ein wirklich wichtiges Medikament entdeckt wird. Stattdessen wird Aspirin nun nicht mehr nur bei Kopfschmerzen eingesetzt, sondern auch gegen Herzinfarkt, Schlaganfall und Darmkrebs.

Die große Anzahl neu angebotener Medikamente täuscht über die wahren Verhältnisse hinweg. Von den über 80.000 Präparaten, die in Apotheken verkauft werden, werden schätzungsweise nur 300 wirklich gebraucht.

Die Zeit der großen Neuentdeckungen scheint vorüber. Gut könnten wir eine weitere Entdeckung vom Kaliber des Penicillins gebrauchen. Aber das kann dauern…

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Stand: 15.06.2000

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Rückkehr der Seuchen
Der Krieg gegen die Mikroben geht weiter

Armee der Mikroben
Wird die Menschheit den Kampf gegen die Seuchen doch verlieren?

Ein ungelöstes Rätsel
Noch immer nicht besiegt - Aids

Tödliche Begleiter über Jahrtausende
Cholera, Tetanus, Diphtherie - noch lange nicht besiegt

Alle zehn Sekunden ein neues Opfer
Die "weisse Pest" kehrt zurück

Biologische Waffen
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