Die Bakterien kommen wieder

Antibiotika leider doch kein Allheilmittel

Die Alliierten gewannen nicht nur den Zweiten Weltkrieg, sondern auch den bereits Jahrtausende andauernden Kampf gegen die Infektionskrankheiten. Dachten sie zumindest. Nachdem Alexander Fleming das Penicillin eher durch einen Zufall entdeckt hatte, setzte sich die bakterientötende Substanz bald durch und rettete im Krieg zahlreiche US-Soldaten. Statt eines Sieges über die krankheitserregenden Keime hatte man aber lediglich den Beginn eines Wettrüstens erreicht.

Wird Penicillin gegen Bakterien eingesetzt, so hemmt es ein Enzym, das die Bakterien zum Aufbau ihrer Zellwand nutzen. Oft genug aber wird das Penicillin selbst von Substanzen, die das Bakterium produziert abgebaut oder nach Eindringen in das Bakterium über spezielle Pumpmechanismen wieder nach außen befördert, bevor es die Erreger angreifen konnte. Das Bakterium ist resistent geworden, wird also durch Penicillin nicht mehr beeinträchtigt. Das selbe gilt auch für andere Antibiotika. Immer häufiger richten sie nichts gegen die Erreger aus.

Ende des Booms

Bereits Alexander Fleming warnte vor dieser Entwicklung, blieb aber weitgehend unbeachtet. Jetzt, wo man endlich grandiose Erfolge gegen Infektionskrankheiten feierte, wollte sich niemand die Stimmung vermiesen lassen. Selbst wenn irgendwann penicillinresistente Bakterien auftauchen würden, die Medizin könnte schnell ein anderes wirksames Mittel finden, so dachten viele. Nicht ganz zu unrecht, denn zu Beginn des großen Antibiotika-Booms endeckte man tatsächlich laufend neue Antibiotika, neue Medikamente konnten produziert werden. Die Zeit ist inzwischen vorbei, seit 20 Jahren wurden keine weiteren Antibiotika mehr gefunden. Teilweise liegt das daran, dass die Suche aufwendiger geworden ist, aber im Grunde lohnen sich die Entwicklungskosten für die Pharmaindustrie nicht. Da Antibiotika schnell wirken, werden die Medikamente über einen relativ kurzen Zeitraum eingenommen – es werden also nur wenige Tabletten verkauft. Medikamente gegen chronische Erkrankungen schlucken und zahlen die Menschen oft ein ganzes Leben lang.

Schätzungen zufolge haben Antibiotika-Resistenzen in den letzten Jahren zum Tod von 50.000 bis 100.000 Menschen in der EU geführt. Trotzdem ist das Vertrauen in Antibiotika noch relativ hoch. Kaum jemand kann sich heutzutage vorstellen, an einer einfachen Infektionskrankheit zu sterben, zumindest nicht in den Industrienationen. Die Folge ist, dass Ärzte weiterhin massenhaft Antibiotika verschreiben, selbst bei Krankheiten, die auch ohne Medikamente ausheilen würden. Sogar bei durch Viren verursachten Krankheiten, etwa einer Grippe, werden Antibiotika genommen. Dass die gegen Viren gar nichts ausrichten können, scheint vielen Ärzten und Patienten entweder egal oder nicht bewusst zu sein.

Hinzu kommt, dass viele Patienten die Einnahme ihrer Medikamente selbstständig wieder abbrechen, wenn die Symptome nachlassen. Allgemein gilt, dass sich resistente Bakterien um so schneller bilden können, je häufiger sie Antibiotika ausgesetzt werden. Besonders, wenn das Medikament zu schnell abgesetzt wird, ist die Chance groß, dass einige Bakterien, die unempfindlicher waren, nicht abgetötet werden. Selbst wenn eine Million Bakterien infolge der Antibiotika sterben, genügt ein einziges, das zufällig aufgrund einer Mutation eine Resistenz ausgebildet hat. Dieses eine Bakterium überlebt und kann schnell viele – ebenfalls resistente – Nachkommen erzeugen, denn alle Konkurrenten wurden durch das Medikament vernichtet.

DNA-Ringe übertragen Resistenzen

Aber die Resistenz kann nicht nur auf die direkten Nachkommen, sondern auch auf ganz andere Stämme übertragen werden. Erbsubstanz wird etwa über ringförmige DNA, sogenannte Plasmide an andere Zellen weitergegeben. Einige Bakterien nehmen dazu freies Erbmaterial toter Zellen auf. Gelegentlich übertragen auch Viren Resistenzgene, wenn sie aus Versehen Erbmaterial eines Bakteriums in einem anderen wieder freisetzen. Die Folge: Noch mehr resistente Krankheitserreger.

Besonderen Grund zur Sorge bieten multiresistente Bakterien, die nicht nur unempfindlich gegen ein Antibiotikum sind, sondern gleich gegen mehrere. Im schlimmsten Fall kann sich dabei ein Erreger bilden, der gegen sämtliche bekannten Antibiotika immun ist. Wir wären zurückversetzt in die Zeit, wo Menschen an einer entzündeten Wunde sterben konnten. Dieser Fall ist sogar bereits eingetreten. Unter dem bezeichnenden Namen „Superbugs“ kursieren multiresistente Enterokokken, die gegen jedes Antibiotikum unempfindlich sind. Noch gibt es diese Erreger hier nicht, aber auch in Deutschland erkranken jährlich um die 50.000 Menschen an multiresistenten Erregern. Selbst Vancomycin, bisher noch als letzter Rettungsanker hilfreich, wirkt nicht mehr in allen Fällen. Schätzungsweise tragen in Europa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung multiresistente Enterokokken im Darm. Eine tickende Zeitbombe.

Doch die Gefahr lauert nicht nur in Arztpraxen, Krankenhäusern und bei Patienten, die die Dosierung ihrer Medikamente selbst in die Hand nehmen. Auch in der Tierhaltung werden Antibiotika dem Futter beigemischt. Ein weiteres Problem stellt möglicherweise die Gentechnik dar, in der Bakterien mit Antibiotikaresistenz als sogenannte Marker verwendet werden. Die Geister jedenfalls sind gerufen und wir müssen nun zusehen, dass wir sie auch wieder loswerden.

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Stand: 15.06.2000

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