Fasziniert sah der niederländische Physiker Heike Kamerlingh-Onnes zu, wie das flüssige Helium seltsame Formen annahm. Unerwartet bewegte es sich an den Wänden des Behälters nach oben und sammelte sich in Tropfen unten an der Außenseite des Gefäßes. Er ahnte noch nicht, dass ihn das Erforschen des Verhaltens von Stoffen bei extrem niedrigen Temperaturen auf ganz andere Wege führen sollte.
Als der niederländische Wissenschaftler wenig später im Jahr 1910 mit Quecksilber experimentierte, dass er mit flüssigem Helium auf minus 269 Grad herunter gekühlt hatte, machte er durch Zufall eine Entdeckung. Bei diesen tiefen Temperaturen verschwand der elektrische Widerstand des Metalls. Der Strom konnte nun völlig ohne Verluste fließen – das Phänomen der Supraleitung war entdeckt.
Stromfluß völlig ohne Widerstand? Wie ist das möglich? Stromfluß durch Metalle entsteht durch frei bewegliche Elektronen, die innerhalb des Metalles wandern. Normalerweise werden diese Elektronen durch die Bewegung der Atome behindert. Je höher die Temperatur ist, desto mehr bewegt sich das Atomgitter des Metalles und desto häufiger verlieren die Elektronen bei einem Zusammenstoß einen Teil ihrer Energie. Bei extrem niedrigen Temperaturen dagegen schwingen die Metall-Atome nur noch ganz leicht auf ihren Plätzen, die Elektronen werden in ihrer Bewegung kaum mehr behindert. Ein weiteres Phänomen besteht darin, dass sich die Atome zu Paaren, sogenannten Cooper-Paaren, zusammenschließen. Bewegen sie sich gemeinsam durch das Gitter, entsteht eine Art Tunnel, durch den die Elektronen sich reibungsfrei bewegen. Der elektrische Widerstand ist gleich Null.
Zahlreiche Metalle zeigen diese supraleitenden Eigenschaften, die von großem Vorteil für die technische Anwendung wäre. Ohne Widerstand entstehen keine Verluste durch Reibungswärme, das heißt, ein einmal induzierter Strom bleibt sehr lange Zeit ohne weitere Energiezufuhr bestehen. Allerdings gibt es ein Problem: Die extreme Kühlung. Um Materialien auf solche niedrigen Temperaturen herunterzukühlen, werden große Menge an flüssigem Helium benötigt. Und das ist teuer, circa zehn Mark kostet ein Liter. Kein Wunder, dass Wissenschaftler sich lange mit dem Problem beschäftigten, die niedrige Sprungtemperatur, ab der das Metall supraleitend wird, höher zu setzen.
Eine Sensation war es daher, als die Wissenschaftler Bednorz und Müller in den 80er Jahren, übrigens auch nicht völlig ohne Glück oder Zufall, keramische Stoffe fanden, die schon bei einer Kühlung auf „nur“ minus 196 Grad Supraleitung zeigten. Für solche Temperaturen braucht man nicht mehr unbedingt flüssiges Helium, da reicht auch der viel billigere Stickstoff. Mit der Zeit fanden Forscher Materialien mit noch höheren Sprungtemperaturen, die technische Anwendung war schlagartig viel billiger und einfacher geworden.
Heute benutzt man beispielsweise supraleitende Magnete bei der Untersuchung hochenergetischer Teilchen in der Elementarteilchenphysik, in der organischen Chemie bei Strukturuntersuchungen mit Hilfe der Kernresonanz und in der Medizin bei den Kernspintomographen. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden die Anwendungsgebiete vermutlich weiter wachsen. So sind supraleitende Motoren und Generatoren in Planung und auch in Großrechnern plant man den Einsatz von Supraleitung.
Was auch immer die Supraleitung der Menschheit noch bescheren wird, ihrem Entdecker Kamerlingh-Onnes sowie den Weiterentwicklern Bednorz und Müller brachte sie immerhin den Nobelpreis ein.
Stand: 30.05.2000