Physiker der Universität Leipzig haben ein 80 Jahre altes Problem der sogenannten Raman-Spektroskopie gelöst. Die Forscher um Prof. Dr. Marius Grundmann stellten eine Theorie auf und erklärten damit die bei der Raman-Streuung auftretenden Intensitäten für beliebig orientierte Kristalle aller Klassen. Ihre Erkenntnisse haben sie kürzlich im Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlicht.
Die Raman-Spektroskopie ist eine berührungsfreie Analysemethode zur Materialcharakterisierung. Sie wird unter anderem zur chemischen und physikalischen Charakterisierung von Halbleitermaterialien, Edel- und Halbedelsteinen, Katalysatoren, Mineralien, Polymeren und vielen anderen Materialien verwendet.
Bei der Raman-Streuung regt auf den Kristall einfallendes Laserlicht mechanische Schwingungen der Atome (Gitterschwingungen) an, verliert dabei an Energie und kommt mit etwas anderer Farbe (Wellenlänge) zurück. Das untersuchte Phänomen tritt bei nicht kubischen Kristallen auf, wie beispielsweise bei Galliumnitrid – dem Material, aus dem moderne, weiße Leuchtdioden hergestellt werden.
„Die mit der Doppelbrechung verbundenen Effekte auf die Raman-Streuung wurden, nach Scheitern erster Ansätze, jahrzehntelang ignoriert, als viel zu schwierig angesehen oder auch völlig falsch interpretiert“, sagt Experimentalphysiker Grundmann. Bei der Doppelbrechung breitet sich Licht verschiedener Polarisation im Kristall mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus.
Neuer Blick in Kristallstrukturen
Mit der neuen Leipziger Theorie, welche die durch Doppelbrechung verursachten Effekte berücksichtigt, gelingt es, die im Labor gemessenen Eigenschaften von Galliumnitrid und anderen doppelbrechenden Materialien wie Zinkoxid oder Galliumoxid erstmalig vollständig zu erklären. „Es wird möglich, die Raman-Streuung an optisch anisotropen Materialien überhaupt zu verstehen. Anwendungen ergeben sich für alle kristallinen Materialien und insbesondere Dünnschichtsysteme, die nicht aus kubischen Materialien aufgebaut sind, also zum Beispiel blaue und weiße Leuchtdioden, UV-Fotodetektoren, UV-Laser, aber auch bestimmte Transistoren, die nicht aus Silizium sind“, sagt Grundmann.
Bisherige Erklärungsansätze seien dadurch hinfällig geworden, ergänzt Physiker Dr. Christian Kranert aus Grundmanns Forscherteam. „Unsere Theorie lässt es zu, die Orientierung eines Kristalles zu bestimmen. Sie eröffnet uns einen völlig neuen Zugang für die Untersuchung der Verbindung von elektronischen und strukturellen Eigenschaften“, erklärt er. Die Kristallorientierung ist eine Grundeigenschaft, die für physikalische Experimente von großer Bedeutung ist. „Es ist nun erstmals möglich, diese optisch durch Raman-Spektroskopie zu bestimmen“, erläutert Grundmann.
In folgenden Arbeiten werden die Leipziger Physiker ihren neuen Erkenntnisse auf weitere Materialien ausdehnen, die für Leuchtdioden, Fotodetektoren, Solarzellen und Transistoren von Bedeutung sind.
(Universität Leipzig, 29.03.2016 – NPO)