Bindegewebszellen – sogenannte Stromazellen – können das Tumorwachstum entscheidend beeinflussen. Dies ist seit Längerem bekannt. Neu ist ein Auswerteverfahren, das der Bioanalytiker Christopher Gerner und ein interdisziplinäres Team von der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien entwickelt haben. Mit Hilfe der modernen Massenspektrometer der Universität Wien gelang es erstmals, in menschlichen Brustkrebs-Gewebsproben tumorfördernde Zellaktivitäten analytisch nachzuweisen. Aktuell ist dazu eine Publikation im renommierten Fachmagazin „Journal of Proteome Research“ erschienen.
Bekannt ist, dass Bindegewebe oder auch Stroma zu Entstehung und Wachstum von Tumoren beitragen kann. Ungeklärt ist jedoch, ob krankhafte Veränderungen des „Stromas“ die Bildung von Tumoren begünstigen oder ob erst vorhandene Tumorzellen das Stroma zu ihrem Überlebensvorteil funktionell verändern. „Uns gelang es erstmals, für diesen Prozess entscheidende Moleküle als solche zu erkennen und aus klinischen Proben direkt nachzuweisen“, sagt Christopher Gerner, Vorstand des Instituts für Analytische Chemie der Universität Wien, der zusammen mit Georg Pfeiler von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizinischen Universität Wien und einem interdisziplinären Team erfolgreich ein neues Analyseverfahren entwickelt hat.
Krebswachstum durch Bindegewebszellen
Gewebe sind aus unterschiedlichen Zelltypen aufgebaut, welche jeweils spezifische Aufgaben erfüllen. Brustgewebe ist im Wesentlichen aus Epithelzellen und Fibroblasten aufgebaut. Im Falle von Brustkrebs können Epithelzellen zu Krebszellen entarteten, und Fibroblasten (Bindegewebszellen) können – wie oben angesprochen – in kritischer Weise funktionell verändert sein.
Eine typische Aktivität von krebsassoziierten Fibroblasten (cancer-associated fibroblasts, CAFs) gleicht dem Bemühen dieser Zellen, eine Wunde heilen zu wollen. Die dabei abgesonderten Wachstums- und Überlebensfaktoren sind bereits in geringsten Konzentrationen hochaktiv und helfen nicht nur der Wundheilung, sondern werden eben im Falle von Krebs für unerwünschtes Krebswachstum missbraucht. Die Bedeutung dieses Prozesses ist erst seit wenigen Jahren voll akzeptiert, jetzt konnte in dieser Studie auch erstmals ein relevantes In vitro Modellsystem vorgestellt werden.
Innovatives Auswerteverfahren von Brustgewebszellen
Die analytische Herausforderung war nun, aus Nadelbiopsien und den daraus gewonnenen Gewebshomogenaten, also einem Gemisch verschiedenster Zelltypen und unzähliger Blutbestandteile, möglichst viele krankheitsbeeinflussende Proteine zu identifizieren. Mittels moderner massenspektrometrischer Analysen konnten zunächst in den Gewebsproben von Brustkrebspatientinnen viele tausend Proteine erfolgreich erkannt werden.
In der Folge gelang es erstmals, die Aktivitäten der Fibroblasten direkt nachzuweisen – mit dem Ergebnis, dass wie im In-vitro-Modell auch die menschlichen Zellen im Gewebe eine deutliche Wundheilungs-Signatur und somit krebsfördernde Aktivitäten aufzeigen. „Möglich wurden diese Experimente durch die Ausstattung meiner neuen Professur für Bioanalytik“, so Christopher Gerner über die Topgeräte des Massenspektrometriezentrums der Universität Wien.
Neue Ansätze in der Brustkrebstherapie
Diese Erkenntnis ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Aufgrund einer Nadelbiopsie kann nun der Status quo der entnommenen Zellen erhoben werden. „Es kann damit prinzipiell bei jeder einzelnen Patientin festgestellt werden, wie stark bei ihr die Wundheilungsaktivität ausgeprägt ist. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um eine gezielte Einflussnahme planen zu können. Für die klinische Routine ist das aber noch Zukunftsmusik“, so Georg Pfeiler von der Medizinischen Universität Wien.
„Wir arbeiten bereits daran, einen derartigen Status auch aus Serumproben erheben zu können“, ergänzt Christopher Gerner vom Institut für Analytische Chemie der Universität Wien. Darüber hinaus kann nun das etablierte Zellmodell für Krebs-assoziierte Fibroblasten dazu verwendet werden, Medikamente zu testen, die diese unerwünschten Zell-Aktivitäten gezielt hemmen sollen. Eine derartige (Zusatz-)Therapie könnte eine unschätzbare Verbesserung der bisher eingesetzten klinischen Standard-Therapien darstellen.
Derzeit arbeiten mehrere DoktorandInnen an der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien an der Umsetzung dieses Forschungsvorhabens. Es handelt sich dabei um ein typisches Cross-Over-Projekt, an dem chemische AnalytikerInnen, MedizinerInnen und PharmakologInnen mitarbeiten.
(Universität Wien, 21.10.2014 – NPO)