Medizin

Schnelle Alternative zu Tierversuchen

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Mit einem neuen Forschungsprojekt schlagen Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zwei Fliegen mit einer Klappe: Eine Arbeitsgruppe vom Lehrstuhl für Medizinische Biotechnologie entwickelt ein Verfahren, dass es zukünftig ermöglicht, chemische Substanzen in vitro kostengünstiger und schneller auf ihre giftige Wirkung hin zu untersuchen als bisherige Prüfungen im Tierversuch. Das Verfahren stellt dadurch gleichzeitig eine mögliche Alternative für Tierversuche dar.

Lern- und Entwicklungsstörungen – wie beispielsweise die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) oder Autismus – treten seit mehreren Jahren immer häufiger auf. Die genaue Ursache für diese Zunahme ist noch nicht bewiesen: Zwar gehen Wissenschaftler davon aus, dass Umweltgifte wie Schwermetalle und Pestizide für die Krankheiten verantwortlich seien – genauso gut kann es aber auch eine der anderen mehr als 70 Millionen chemischen Substanzen sein, die die größte Datenbank für chemische Substanzen, das CAS Registry, verzeichnet, und die in alltäglichen Produkten wie Verpackungen, Elektrogeräten, Reinigungsmitteln oder Konservierungsmitteln für Lebensmittel enthalten sind.

Nur ein Bruchteil dieser Substanzen wurde bisher auf ihre schädigende Wirkung auf das reifende zentrale Nervensystem (ZNS) hin überprüft: Die Anforderungen an Testverfahren, die dabei helfen, das Gefährdungspotenzial für das ZNS einzuschätzen, sind sehr hoch, die Durchführung kosten- und zeitintensiv – und gesetzlich sind sie nicht vorgeschrieben. So werden die Substanzen nur auf mögliche Auswirkungen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, getestet – wie beispielsweise Hautausschläge und Augenreize. Problematisch ist auch die Vorgehensweise bei diesen Verfahren: Chemische Substanzen werden hauptsächlich in Tierversuchen auf ihre Giftigkeit hin überprüft. Da sich die tierische und menschliche Physiologie abhängig vom verwendeten Tiermodell sehr stark voneinander unterscheiden können, besteht die Gefahr, dass sich am Tier als ungefährlich getestete Substanzen für den Menschen später trotzdem als schädlich erweisen. Paradebeispiel ist hierfür das Medikament Contergan, welches im Tiermodell als unbedenklich, beim Menschen jedoch zu starken Missbildungen geführt hat.

Schnelle Kombination im Reagenzglas

Bei dem Testverfahren „Developmental Neurotoxicity Testing“ (DNT), das bisher eingesetzt wird um die Wirkung chemischer Substanzen auf das reifende ZNS zu prüfen, werden schwangere Ratten mehrmals täglich einer chemischen Substanz ausgesetzt und Muttertiere und Nachwuchs daraufhin auf auffälliges Verhalten hin beobachtet. Die Arbeitsgruppe um Dr. Daniel Gilbert und Prof. Oliver Friedrich erforscht nun, wie das DNT durch ein in vitro-Verfahren ersetzt werden kann. Die Forscher visieren die Entwicklung eines Hochdurchsatz Screening Ansatzes an: Dabei dreht es sich um eine automatisierte Methode, bei der die Wirkung von Substanzen auf Zellen in sehr kurzer Zeit und in sehr großer Anzahl im Reagenzglas – also im Hochdurchsatz – getestet wird.

Grundlage für das neue Testverfahren sind menschliche Stammzellen. Diese lassen die Wissenschaftler in Zellkulturen zu Zellen des Zentralen Nervensystems heranreifen und setzen sie unter kontrollierten Bedingungen giftigen Substanzen aus. Eine Kombination verschiedener Untersuchungsmethoden soll dann die Giftwirkung auf verschiedenen Ebenen widerspiegeln. In einem ersten Schritt analysiert das Verfahren die Struktur der quasi neu herangezüchteten Nervenzellen. Die ausgereiften Zellen bilden untereinander ein weit verzweigtes Netzwerk, das die funktionalen Eigenschaften des ZNS bestimmt und somit Einfluss auf unser Verhalten hat. Diese Analyse kann möglicherweise als Indikator für Verhaltensstörungen wie ADHS dienen. In einem zweiten Schritt soll das Verfahren überprüfen, ob die Substanzen sich giftig auf die Funktionsweise der Nervenzellen auswirken. Im Fokus der Wissenschaftler stehen dabei Proteine, die die Reizweiterleitung zwischen den Zellen kontrollieren. Denn wird diese Kommunikation gestört, kann es zu Epilepsien oder Muskelkrämpfen kommen. „Indem wir diese beiden Verfahren, die sonst eigenständig angewandt werden, kombinieren, wollen wir eine zuverlässige Voraussage zur Giftigkeit von chemischen Substanzen ermöglichen“, erklärt Gilbert. „Angesichts der starken Zunahme neurologischer Erkrankungen ist die Entwicklung schnell ablaufender Testreihen zwingend nötig“, sagt Gilbert.

(Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 25.06.2013 – KSA)

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