Pflanzen und einige Bakterienarten verwandeln bis zu 95 Prozent des Sonnenlichts, dem sie in der Natur ausgesetzt sind, in chemische Energie. Industriell gefertigte Solarzellen verwerten hingegen nur rund 20 Prozent des absorbierten Lichts. Wie gelingt es Pflanzen und Bakterien, das Sonnenlicht mit einer so viel höheren Effizienz für die Energiegewinnung zu nutzen? Eine Forschungsgruppe um den Bayreuther Experimentalphysiker Dr. Richard Hildner ist diesen Geheimnissen auf die Spur gekommen. In der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ berichten die Wissenschaftler über ihre Erkenntnisse, die für künftige Technologien der Energiegewinnung von erheblicher Bedeutung sein können.
Antennenproteine: Molekulare Zwischenstationen auf dem Weg zur Photosynthese
Wenn Pflanzen oder Bakterien das Licht der Sonne absorbieren und in chemische Energie verwandeln, haben Antennenproteine dabei eine Schlüsselfunktion. Jedes dieser Proteine hat eine ringförmige Struktur, in der sich eine Vielzahl von Farbstoffmolekülen befindet. Die Farbstoffmoleküle nehmen Lichtenergie auf und übertragen diese mit extrem hoher Geschwindigkeit auf benachbarte Farbstoffmoleküle: zunächst auf Moleküle innerhalb desselben Antennenproteins, dann auf Moleküle in einem angrenzenden Antennenprotein. So durchläuft die absorbierte Lichtenergie eine Kette mehrerer Antennenproteine, bis sie schließlich in einem Reaktionszentrum ankommt. Hier werden die Prozesse der Photosynthese in Gang gesetzt, die aus der Lichtenergie chemische Energie erzeugen.
Stabiler Energietransport: Im gleichmäßigen Takt auf wechselnden Wegen
Dr. Richard Hildner hat zusammen mit den Physikern Niek van Hulst, Daan Brinks und Jana Nieder in Barcelona und dem Biochemiker Richard Cogdell aus Glasgow den Transport der Lichtenergie mit einer bisher unerreichten Präzision analysiert. Dabei haben die Wissenschaftler ein unerwartetes Phänomen entdeckt. Wenn die Energie von einem Farbstoffmolekül auf das nächste benachbarte Farbstoffmolekül übertragen wird, sind das keine zufälligen, unorganisierten Prozesse. Vielmehr arbeiten alle Farbstoffmoleküle in einem gleichmäßigen Takt. In der Physik bezeichnet man dieses Phänomen als quantenmechanisch kohärenten Transport. Die Energie kann sich dadurch wie eine Welle ungehindert durch ein Antennenprotein bewegen.
Und noch eine weitere Entdeckung hat die Forschergruppe gemacht: Die Transportwege ändern sich ständig. Die Lichtenergie durchläuft keineswegs immer die gleichen Ketten von Farbstoffmolekülen auf ihrem Weg durch die Antennenproteine. Variabilität der Transportwege und Kohärenz – diese Kombination ist für den Energietransport in Pflanzen und Bakterien charakteristisch.
Wie die Forscher herausgefunden haben, erfüllt diese Kombination einen biologischen Zweck. Aufgrund des kohärenten, wellenartigen Transports findet die Energie immer den besten Pfad durch ein Antennenprotein. Dies trägt wesentlich dazu bei, dass der Transport der Lichtenergie auch dann effizient verläuft, wenn die Umgebung der Farbstoffmoleküle wechselt – sei es, dass die Temperatur schwankt; sei es, dass sich die innere geometrische Struktur der Antennenproteine ändert.
Spektroskopische Momentaufnahmen mit ultrakurzen Laserpulsen
Wie war es den Forschern möglich, so tief – bis hinunter auf die Ebene einzelner Moleküle – in den Transport von Lichtenergie vorzudringen? Entscheidend war eine neuartige spektroskopische Versuchsanordnung. Wird ein Antennenprotein, während die Lichtenergie in seinem Inneren von einem Farbstoffmolekül zum nächsten wechselt, einem ultrakurzen Laserpuls ausgesetzt, entsteht eine spektroskopische Momentaufnahme. Sie zeigt die unterschiedlichen Anregungszustände der Farbstoffmoleküle, die sich im Antennenprotein befinden. Daran lässt sich ablesen, welches Farbstoffmolekül exakt zu diesem Zeitpunkt am Transport der Lichtenergie beteiligt ist. Das Team um Dr. Richard Hildner hat nun viele solche Momentaufnahmen desselben Antennenproteins kurz hintereinander geschaltet. So konnten die Wissenschaftler die Transportwege der Lichtenergie verfolgen und dabei auch die Kohärenz des Transports nachweisen.
Derart hochpräzise Einblicke in den Transport von Lichtenergie entstehen allerdings nur, wenn für jede der aufeinander folgenden Momentaufnahmen ein ultrakurzer Laserpuls verwendet wird, der nur wenige Femtosekunden dauert. Eine Femtosekunde entspricht dem billiardsten Teil einer Sekunde. In diesem winzigen Zeitraum legt das Licht eine Strecke zurück, die ungefähr so lang ist wie ein Hundertstel des Durchmessers eines menschlichen Haars. Hingegen braucht das Licht eine Sekunde, um die Strecke von der Erde zum Mond zu durchlaufen.
„Light Harvesting“ – ein Schwerpunktthema an der Universität Bayreuth
Die in „Science“ veröffentlichten Erkenntnisse sind ein grundlegender Beitrag zu einem Forschungsgebiet, für das sich der Begriff des „Light Harvesting“ („Lichternte“) etabliert hat. Das Ziel ist es, die Prozesse der pflanzlichen und bakteriellen Energiegewinnung aus Licht so tiefgehend zu verstehen, dass sie durch mindestens ebenso effiziente künstliche Verfahren nachgeahmt werden können. Dies könnte ein Weg sein, um die globale Energieversorgung nachhaltig zu sichern.
An der Universität Bayreuth befasst sich eine interdisziplinäre Forschungsgruppe bereits seit vielen Jahren mit diesem Forschungsgebiet. Im April 2013 hat Prof. Dr. Jürgen Köhler, Inhaber des Lehrstuhls Experimentalphysik IV, eine internationale Konferenz zum Thema „Light Harvesting Processes“ in Kloster Banz organisiert. Er ist Vorsitzender des DFG-Graduiertenkollegs „Photophysics of Synthetic and Biological Multichromophoric Systems“ an der Universität Bayreuth. Dr. Richard Hildner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Experimentalphysik IV; für seine Leistungen auf dem Gebiet der Quanteneffekte in einzelnen Molekülen und mokekularen Systemen wird er in diesem Jahr mit dem international renommierten Sturge Prize ausgezeichnet.
(Science, 2013; doi: 10.1126/science.1235820)
(Universität Bayreuth, 21.06.2013 – KSA)