Zwischen zehn und 15 Prozent sind betroffen: Bei Fahrten mit Autos, Bussen oder Zügen, auf Schiffen und in Flugzeugen wird ihnen übel. Einige müssen sich sogar übergeben. Weil auch Fische unter der Reisekrankheit leiden, schießt ein Biologe der Universität Hohenheim 40 Buntbarsche ins All. Raketenstark ist am 19. April 2013 auf dem russischen Weltraumbahnhof Baikonur.
Reinhard Hilbig, Leiter der Arbeitsgruppe Neuro- und Gravitationsbiologie an der Universität Hohenheim, vermutet den Grund für die Reisekrankheit im Innenohr: „Dort sitzt das Sinnesorgan, mit dem wir Schwerkraft und Beschleunigung wahrnehmen“, erklärt der Biologe. Genau genommen handelt es sich um winzige Steinchen, Otolithen genannt. Sie erfassen die dreidimensionale Lage im Raum und leiten sie an das Gehirn weiter.
Widersprüchliche Meldungen an das Gehirn
Der Experte vermutet: „Reisenden wird übel, wenn die Otolithen andere Signale an das Gehirn schicken als die Augen.“ Denn die Otolithen seien paarweise angeordnet und eine stabile Raumorientierung sei nur möglich, wenn die Steinchen auf beiden Seiten gleich groß und schwer seien. „Wenn die Otolithen-Paare asymmetrisch angeordnet sind, leiten sie Meldungen an das Gehirn weiter, die dem widersprechen, was wir sehen.“ Manchmal könne das Gehirn diesen Informationskonflikt nicht lösen. Es begreife dann nur, dass etwas nicht stimme. „Zum Schutz nimmt es an, der Körper sei vergiftet – und leitet Brechreiz ein.“
Um seine These zu überprüfen, schießt Hilbig 40 Buntbarsche in einem Spezial-Aquarium ins All. Deshalb soll am 19. April 2013 eine Trägerrakete vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur starten. Sie bringt einen Satelliten namens Bion M1 auf eine Erdumlaufbahn in rund 650 Kilometern Höhe. Der umkreist dort einen Monat lang die Erde.
15 Prozent der Fische werden reisekrank
Denn aus vorgegangenen Untersuchungen im Weltraum hat der Forscher bereits beobachtet, dass sich der Calcium-Stoffwechsel von Menschen und Tieren nach einigen Tagen im All verändert: „Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Knochen im Skelett, sondern auch auf die Otolithen. Denn auch sie bestehen aus Calcium.“ „Das Schweresinnesorgan der Fische stimmt zu ca. 90 Prozent mit dem der Menschen überein“, erklärt der Biologe. Genauso wie bei den Menschen werde sich die Schwerelosigkeit bei zehn bis 15 Prozent der Fische auf die Otolithen auswirken, mutmaßt Prof. Dr. Hilbig. „Diese Fische werden reisekrank.“
Medikamente gegen die Weltraumkrankheit
Der Forscher nimmt an, dass sich bei den Fischen die Schwerelosigkeit auf Größe und Gewicht der Otolithen auswirkt. Das Weltraum-Experiment soll nun zeigen, wie sich die Otolithen von reisekranken Fischen von denen der gesunden Buntbarsche unterscheiden. „Vielleicht gibt es obendrein einen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Veränderungen an den Otolithen und der Schwere der Erkrankung“, mutmaßt der Forscher.
Aufschlussreich sei auch, wie lange es dauert, bis sich die betroffenen Fische wieder erholt haben, wenn sie wieder auf der Erde sind. „Uns als Forscher interessieren dabei die grundsätzlichen Mechanismen der Raumorientierung und des Calcium-Stoffwechsels, in die wir dank der Schwerelosigkeit einen Einblick bekommen. Wenn diese besser bekannt sind, werden auch in der Zukunft Medikamente gegen die Reisekrankheit entwickelt werden können“, prophezeit Hilbig.
(Universität Hohenheim, 17.04.2013 – NPO)