Materialforschung

Inspiriert von Tiefseeschwämmen: „Elastischer Kalk“ aus dem Labor

Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung haben ein neues Hybridmaterial geschaffen, das einen Mineralanteil von fast 90 Prozent besitzt, aber dennoch extrem flexibel ist. Sie haben dazu das Skelett von Tiefseeschwämmen als Vorbild genommen und die Schwammnadeln aus dem Mineral Calciumcarbonat und einem Protein des Schwamms nachgebaut.

Minerale sind in der Regel sehr hart und spröde; sie spalten und brechen daher wie Porzellan. Umso überraschender ist es, dass das neue synthetische Material – ganz im Gegensatz zu dem Original aus der Tiefsee – flexibel ist wie Gummi. Zum Beispiel lassen sich die synthetischen Nadeln in eine U-Form biegen, ohne dass sie brechen. Diese ungewöhnliche Eigenschaft ist, wie die Wissenschaftler in einer Science-Veröffentlichung schreiben, hauptsächlich auf den Anteil organischer Substanz zurückzuführen. Dieser Anteil ist in dem neuen Material etwa zehn Mal so hoch ist wie in den natürlichen Spiculae, wie die Schwammnadeln auch genannt werden.

Spicula sind Skelettelemente, die in den meisten Schwämmen vorkommen. Sie unterstützen die Struktur und halten außerdem Feinde ab. Sie sind außerordentlich hart, stachelig und selbst mit einem Messer nur schwer zu schneiden. Mit diesen Eigenschaften liefern sie ein gutes Beispiel für ein leichtgewichtiges, festes und undurchdringbares Verteidigungssystem, wie es in Zukunft vielleicht auch für Körperrüstungen in Frage kommen könnte.

Schwammnadeln im Labor gezüchtet

Die Wissenschaftler um Wolfgang Tremel, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und Hans-Jürgen Butt, Direktor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung, haben sich von diesen Schwammnadeln inspirieren lassen und sie im Labor gezüchtet. Als Ausgangsmaterial wurde Calciumcarbonat in Form von Calcit und Silicatein-α verwendet. Silicatein-α ist ein Protein aus Kieselschwämmen, das in der Natur die Bildung von Silica, aus dem die Nadeln von Kieselschwämmen bestehen, aus löslicher Kieselsäure katalysiert.

Im Labor wurde Silicatein-α eingesetzt, um die Selbstorganisation von Calcit-Nadeln – ähnlich wie in den Nadeln des Wimpern- oder Kronenkalkschwamms Sycon sp. – zu steuern. Auf diese Weise wurden Calcit-Nanokristalle aneinandergelagert und durch Silicatein-α „verklebt“. Nach sechsmonatiger Reifezeit war aus einem zunächst amorphen ein kristallines Material entstanden, in dem die Calcit-Nanokristalle wie bei einem Backstein-Mauerwerk aneinandergelagert und von dem Protein zementähnlich verklebt sind. Es entstanden Nadeln von 10 bis 300 Mikrometer Länge und 5 bis 10 Mikrometer Durchmesser.

Wie die Wissenschaftler, darunter Chemiker, Polymerforscher und der Molekularbiologe Professor Werner E. G. Müller der Universitätsmedizin Mainz, in der Science-Veröffentlichung außerdem schreiben, besitzen die synthetischen Nadeln über die genannten Besonderheiten hinaus auch noch die Eigenschaft, dass sie selbst in gebogenem Zustand Lichtwellen leiten können.

(Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 18.03.2013 – NPO)

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