Bruch eines Tabus: In China sollen erstmals genetisch veränderte Babys geboren worden sein. Die Zwillingsmädchen tragen ein Gen in sich, das sie vor späteren HIV-Infektionen schützen soll. Sollte sich dies bestätigten, wäre dies ein Tabubruch. Solche Genänderungen bei Embryos – sogenannte Keimbahn-Veränderungen – gelten als ethisch fragwürdig und sind in den meisten Ländern verboten, weil sie das Erbgut des Menschen dauerhaft verändern.
Die Genschere CRISPR/Cas9 hat Medizinern ganz neue Möglichkeiten verliehen, das menschliche Genom zu editieren. Denn punktgenau können Gendefekte repariert oder gezielt gewünschte Gene eingefügt werden. Bisher jedoch fanden die meisten dieser Gentherapien noch bei Tieren statt, darunter gegen Duchenne-Muskeldystrophie und genetisch bedingten Hörverlust. In menschlichen Zellkulturen wurden Gendefekte der Sichelzellen-Anämie und auch eine Alzheimer-Mutation repariert.
Doch all diese Eingriffe haben eines gemeinsam: Werden sie beim Menschen eingesetzt, korrigieren sie nur die Defekte der jeweiligen Patienten. Weil die Keimzellen der Betroffenen – Spermien und Eizellen – noch immer den Gendefekt tragen, könnten ihre Nachkommen weiterhin den Defekt erben und erkranken.
Keimbahn-Therapie – Chance oder Tabu?
Anders wäre dies bei einer Keimbahn-Therapie, einer Genreparatur, die bei der befruchteten Eizelle durchgeführt wird: Weil sich aus dieser alle späteren Zellen des Menschen entwickeln, tragen auch dessen Keimzellen den geänderten Gencode – und geben diesen an alle Nachkommen weiter. Ein solcher Eingriff verändert dadurch das Erbgut aller kommenden Generationen – und ist daher ethisch stark umstritten.
„Wir arbeiten hier am Betriebssystem eines menschlichen Wesens“ kommentiert Eric Zopol vom Scripps Research Institute in Kalifornien gegenüber der Associated Press (AP). Wegen der unübersehbaren und dauerhaften Folgen und der damit verbundenen ethischen Bedenken gegenüber einer solchen Technologie sind solche Keimbahn-Manipulationen bisher in Deutschland und vielen anderen Ländern verboten. In den USA dürfen Forscher solche Genveränderungen an Embryonen durchführen, solange daraus kein lebensfähiger Fötus entsteht.
Experimentierfeld China
Anders ist dies in China. Unter anderem deshalb haben Forscher dort bereits mehrfach Keimbahn-Eingriffe mithilfe von CRISPR/Cas 9 durchgeführt. So reparierte ein Team den Gendefekt, der die erbliche Blutkrankheit Thalassämie verursacht, ein anderes schleuste eine Genvariante in das Erbgut eines Embryos ein, die diesen später vor einer Infektion mit HIV schützen soll. Diese Mutation des CCR5-Gens verhindert, dass das HI-Virus in die Zelle eindringt.
Genau dieser Eingriff soll nun bei zwei neugeborenen Zwillingsmädchen durchgeführt worden sein. He Jiankui von der South University in Shenzen und sein Team berichten, sie hätten die CCR5-Genvariante während der künstlichen Befruchtung mittels Genschere in die befruchteten Eizellen eingeschleust. Insgesamt soll diese Genveränderung bei 16 Embryos von sieben Paaren vorgenommen worden sein. Nur in einem Fall war die Einpflanzung dieser geneditierten Embryos jedoch erfolgreich – und führte zur Geburt der Zwillinge.
Zwillingsmädchen gesund geboren – angeblich
„Die beiden Mädchen Lulu und Nana kamen schreiend und so gesund wie jedes andere Baby auf die Welt“, berichtet He Jiankui in einem Video. Seinen Angaben nach haben Gentests ergeben, dass bei einem der beiden neugeborenen Babys beide Varianten des CCR5-Gens erfolgreich ersetzt worden sind. Beim zweiten Kind sei nur eines der beiden Allele ersetzt, doch in beiden Fällen gebe es keine Hinweise auf Veränderungen in anderen DNA-Abschnitten oder andere unerwünschte Nebeneffekte.
Das allerdings bezweifeln Wissenschaftler, denen die Agentur AP einige in China erhaltene Daten zur Prüfung gegeben hatte. Demnach seien die durchgeführten Tests nicht ausreichend, um den Erfolg zu belegen oder Schäden auszuschließen. Sie fanden zudem Hinweise darauf, dass mindestens bei einem Zwilling die Genveränderung nur unvollständig und nicht bei allen Zellen vorhanden ist.
Unübersehbare Folgen fürs Kind
Genau deshalb hält es unter anderem Kiran Musunuru von der University of Pennsylvania für unethisch, diesen Embryo überhaupt einzupflanzen und austragen zu lassen: „Dieses Kind hat in Bezug auf den Schutz gegen HIV fast nichts gewonnen, dafür setzt man es all den noch unbekannten Risiken dieser Technologie aus“, kritisiert der Forscher gegenüber AP. Denn jüngste Studien deuten darauf hin, dass die Genschere CRIPR/Cas 9 ungewollte Mutationen im Erbgut auslösen und das Krebsrisiko erhöhen könnte, auch Immunreaktionen sind offenbar möglich.
Hinzu kommt, dass dieser Eingriff ins Erbgut selbst bei perfektem Gelingen schon aus medizinischen Gründen stark umstritten ist. Denn Menschen mit veränderten CCR5-Genen sind zwar besser gegen eine HIV-Infektion geschützt, dafür aber macht sie diese Genvariante anfälliger gegenüber anderen Viren wie Influenza oder dem West-Nil-Virus. „Das ist skrupellos und ein Experiment an menschlichen Wesen, das weder moralisch noch ethisch zu rechtfertigen ist“, kritisiert Musunuru gegenüber AP.
„Ein Super-GAU für die Wissenschaft“
Ähnlich kritisch sieht der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, diesen Vorstoß der chinesischen Forscher: „Sollte es sich bewahrheiten, dass ein mithilfe von CRISPR genmanipuliertes Baby erzeugt worden ist, wäre dies für die Wissenschaft ein Super-GAU“, sagt der Theologe. „Wenn systematisch die biologische Grundlage des Menschen manipuliert werden soll, ist dies ein Menschheitsthema. Das Ganze zeigt aber auch: Es reicht nicht aus, dass die Wissenschaft sich Verhaltenscodizes gibt, an die sich keiner hält.“
Am morgigen Dienstag beginnt in Hongkong ein internationaler Gipfel zur Geneditierung beim Menschen, bei dem es unter anderem um den aktuellen Stand der Technologie, aber auch um ethisch-moralische Fragen gehen soll. Dass He Jianku die Nachricht von der ersten Geburt geneditierter Babys ausgerechnet am Tag vor dieser Konferenz platzen lässt, sieht Dabrock als Affront: „Hier hält man sich nicht an international vereinbarte Standards innerhalb der Wissenschaftscommunity“, kommentiert er.
Wie es nun weitergeht und welche Folgen der chinesische Vorstoß für die weitere Regulierung von Keimbahn-Therapien haben wird, bleibt abzuwarten. Noch müssen He Jiankui und sein Team ohnehin erst einmal ihre vollständigen Daten veröffentlichen, damit ihre vollmundigen Behauptungen auch nachgeprüft werden können.
(Assiciated Press (AP), The He Lab, 26.11.2018 – NPO)