Geowissen

Wind bringt Schelfeis zum „Singen“

Forscher messen sich verändernde Vibrationen im Ross-Schelfeis in der Antarktis

Das antarktische Ross-Schelfeis vibriert - und erzeugt so ein für uns unhörbares Summen. © Rick Aster

Brummendes Eis: Das riesige Ross-Schelfeis in der Antarktis „singt“ – es gibt fast ständig ein unhörbar tiefes Summen von sich. Messungen im Eis enthüllen, dass diese subtilen Vibrationen durch den Einfluss des Windes auf die Schnee- und Eisdünen an der Eisoberfläche verursacht werden. An den Frequenzen des Summens lässt sich jedoch auch ablesen, wo die Schneedecke taut, wie die Forscher berichten. Das Singen“ des Schelfeises sei damit ein gutes Werkzeug, um den Zustand dieser wichtigen Eisflächen zu überwachen.

Das Ross-Schelfeis ist rund eine halbe Million Quadratkilometer groß und damit das größte Eisschelf der Erde. Die schwimmende Eisfläche füllt eine riesige Bucht im antarktischen Kontinent und steht schon länger im Visier der Wissenschaftler. Vor einigen Jahren entdeckten sie dort ein rätselhaftes Phänomen: Über der gewaltigen Eisfläche bilden sich in der Atmosphäre enorme Luftwellen. Schon damals vermuteten die Forscher, dass subtile Vibrationen des Schelfeises der Auslöser dieser Atmosphärenwellen sein könnten.

Was genau dahinter steckt, haben nun Julien Chaput von der Colorado State University in Fort Collins und seine Kollegen erforscht. Bereits im Jahr 2014 hatten sie 34 extrem sensible seismische Sensoren entlang zweier Traversalen unter der Schneedecke des Schelfeises vergraben. „Wir wollten damit die Wissenslücke darüber schleißen, wie Schelfeise auf ozeanische, atmosphärische, elastische und schwerkraftbedingte Wellen reagieren“, erklären die Forscher.

Wind versetzt Eis in Vibration

Das Ergebnis: „Wir haben entdeckt, dass das Ross-Schelfeis nahezu kontinuierlich ’singt'“, berichten die Forscher. Das Eis und die darüberliegende Schneedecke vibrieren demnach mit einer Frequenz zwischen vier und 50 Hertz. Dieses tiefe Brummen ist zu niederfrequent, um für uns hörbar zu sein. Würde man es transponieren, wäre es jedoch mit dem Summen tausender von Zikaden vergleichbar sein.

So klingt das Ross-Eisscshelf© American Geophysical Union (AGU)

Auslöser der Schwingungen ist der Wind, der über die zahlreichen Eisdünen, Schneeverwehungen und andere Unebenheiten der Eisdecke weht. „Das ist wie bei einer riesigen Flöte, die ständig geblasen wird“, erklärt Chaput. Und ähnlich wie bei einem Blasinstrument verändert sich auch die Tonhöhe des Brummens im Eis je nach Windstärke: „Das Einsetzen stärkerer Winde resultiert typischerweise in einem unmittelbaren Absinken der Spitzenfrequenz und einer Zunahme der Intensität“, so die Forscher.

Eisschmelze verändert das Brummen

Das Interessante jedoch: Auch Temperaturveränderungen im Eis und in der Schneedecke wirken sich auf das „Singen“ des Eises aus – und lassen sich klar von der „Melodie“ des Windes unterscheiden. „Wenn die Lufttemperaturen sich dem Gefrierpunkt näherten oder ihn überschritten, war dies mit einem allmählichen Abfallen der Resonanz-Peaks in den Schwingungen verbunden“, berichten Chaput und sein Team.

Der Grund: Das durch die Wärme beginnende Tauen der Firnschicht auf dem Eis veränderte dessen Schwingungseigenschaften. Als Folge breiteten sich die windbedingten Vibrationen an diesen Stellen langsamer aus und wurden teilweise geschluckt – und das ließ sich am seismischen „Brummen“ hören. Als beispielsweise während des starken El Nino im Januar 2016 ein fast 800.000 Quadratkilometer großes Gebiet der Schneedecke auf dem Schelfeises taute, konnten die Forscher dies an ihren Sensoren ablesen.

Blick auf den Rand des Ross-Schelfeises © NOAA

Neues Werkzeug zur Überwachung des Eiszustands

Die durch Temperaturänderungen bedingten Veränderungen der Schwingungen betreffen andere Frequenzen im „Brummkonzert“ des Eises als die nur durch den Wind verursachten, wie die Forscher berichten. Das Belauschen des Schelfeises könnte daher dabei helfen, dessen Zustand besser zu erfassen als bisher. „Damit haben wir jetzt ein Werkzeug, mit dem wir diese eisige Umgebung und den Zustand des Schelfeises überwachen können“, sagt Chaput.

Wichtig ist dies vor allem deshalb, weil mit fortschreitendem Klimawandel die Schelfeisgebiete der Antarktis immer brüchiger und kleiner werden. Immer wieder bilden sich Risse im Eis, die zum Abbruch riesiger Tafeleisberge führen, wie zuletzt im Larsen-C-Schelfeis. Auch durch die schwimmende Eisfront des Pine-Island-Gletschers zieht sich aktuell ein neuer Riss.

„Das Schwinden und Kollabieren der Schelfeise jedoch erhöht den Einstrom von Gletschereis in den Ozean und trägt damit zum globalen Meerspiegelanstieg bei“, erklären die Wissenschaftler. „Das ist für uns eine klare Motivation, die Überwachung und Erforschung des Schelfeises in allen relevanten zeitlichen und räumlichen Skalen zu verbessern.“ (Geophysical Research Letters, 2018; doi: 10.1029/2018GL079665)

(American Geophysical Union, 17.10.2018 – NPO)

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