Die Heimat macht den Unterschied: Viele Klischees zu regionalen Persönlichkeitsunterschieden in Deutschland enthalten offenbar einen wahren Kern. Denn wie eine Studie zeigt, sind Süddeutsche zum Beispiel tatsächlich extrovertierter als Menschen aus dem Norden – und Berliner oder Kölner offener als Landbewohner. Wie es zu diesem Phänomen kommt, ist den Forschern zufolge noch unklar.
Der Norddeutsche gilt als unterkühlt, der Süddeutsche eher als gemütlich – Großstadtbewohner sind weltoffen, Menschen vom Land dagegen reserviert. Dies sind nur einige von vielen Vorurteilen, die über die Bewohner einzelner Regionen in Deutschland existieren. Doch wie viel Wahrheit steckt in solchen Zuschreibungen? Und falls die Klischees stimmen: Wie kommt es zu den regionalen Persönlichkeitsunterschieden?
Big Five im Fokus
Genau diese Fragen haben sich nun Wissenschaftler um Martin Obschonka von der Queensland University of Technology in Brisbane gestellt. Sie analysierten die Daten von rund 73.000 Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren, die an einer Online-Persönlichkeitsstudie teilgenommen hatten. „Im Fokus unserer Arbeit standen dabei die sogenannten Big Five. Dabei handelt es sich um fünf Persönlichkeitsmerkmale, mit denen sich die Persönlichkeitsstruktur eines erwachsenen Menschen umfassend beschreiben lässt“, erklärt der Psychologe.
Diese Big Five umfassen die Merkmale Extraversion, Verträglichkeit im Sinne von Kooperationsbereitschaft und Altruismus, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue Erfahrungen sowie Neurotizismus – eine geringe emotionale Stabilität, die durch eine Tendenz zu Angst, Unsicherheit und Nervosität gekennzeichnet ist. Würde sich die Ausprägung dieser Eigenschaften je nach regionaler Herkunft der Studienteilnehmer unterscheiden?
Wahre Klischees
Die Auswertung zeigte: Viele der gängigen Stereotypen scheinen tatsächlich zuzutreffen. So lässt sich aus den Daten herauslesen, dass Süddeutsche tendenziell stärker nach außen gewandt sind als die Menschen an der Küste. Ein ähnliches Gefälle zeigt sich auch zwischen Ost- und Westdeutschland – damit habe sich das Bild vom introvertierten Ostdeutschen und dem eher extrovertierten Westdeutschen bestätigt, berichten die Forscher.
In Sachen emotionale Stabilität stellte das Team ebenfalls Unterschiede fest. Demnach sind die Bewohner Süddeutschlands in der Regel emotional gefestigter als etwa Menschen in Südthüringen oder in der Gegend um Bremerhaven. Interessant dabei: „In der Regionalverteilung von Neurotizismus sind wir auf eine Zweiteilung Deutschlands gestoßen, die überraschend klar der historischen Limes-Linie entspricht – mit niedrigeren Werten südlich des Limes“, berichtet Mitautor Michael Fritsch von der Universität Jena.
Migrationsmuster als Erklärung
Auch zwischen Stadt und Land lassen sich den Ergebnissen zufolge klare Trennlinien ziehen. So scheinen Landbewohner tatsächlich ein geringeres Maß an Offenheit aufzuweisen als Städter. Als besonders offen stellten sich demnach die Menschen in Berlin und in den Metropolregionen um Hamburg, Köln, aber auch Leipzig und Dresden heraus.
Weitere Analysen zeigten, dass Migrationsmuster innerhalb Deutschlands einen Teil der gefundenen Persönlichkeitsunterschiede miterklären können: „Menschen, die auf dem Land geboren und in die Stadt gezogen sind, weisen zum Beispiel deutlich höhere Werte im Bereich Offenheit auf als die Menschen, die auf dem Land bleiben“, sagt Mitautor Michael Wyrwich.
Ursachen unklar
Warum sich solche Eigenschaften abhängig von der Region unterschiedlich ausprägen, kann die Studie allerdings nicht abschließend klären. „Möglicherweise können wir zwar beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einer niedrigeren Belastbarkeit und wirtschaftlich schwächeren Regionen herstellen, allerdings ist damit nicht klar, was zuerst da war“, erläutert Fritsch.
Hinzu kommt den Wissenschaftlern zufolge, dass die gefundenen regionalen Unterschiede insgesamt relativ klein sind. „Trotzdem lassen sich aus den Ergebnissen durchaus ökonomisch relevante Informationen ableiten. Wenn wir uns etwa die vorherrschenden Persönlichkeitseigenschaften in einer Region mit hohen Gründerzahlen anschauen, dann lernen wir etwas über besonders unternehmerisch geprägte Persönlichkeitsstrukturen“, sagt Fritsch. Solche und andere Analysen wollen die Forscher nun auf Basis ihrer „psychologischen Deutschlandkarte“ weiter vorantreiben. (Psychologische Rundschau, 2018)
(Friedrich-Schiller-Universität Jena, 04.09.2018 – DAL)