Um die Qualität seiner Gläser zu überprüfen, führt Fraunhofer immer wieder optische Experimente durch. So auch im Jahre 1814: Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen lässt er Sonnenlicht in sein abgedunkeltes Arbeitszimmer fallen und schickt es durch einen geschliffenen Glasblock. An den Flächen dieses Prismas werden die Anteile des Lichts abhängig von ihrer Wellenlänge unterschiedlich stark gebrochen. Das Licht wird in die Farben des Regenbogens aufgefächert.
Doch als Fraunhofer diesen Regenbogen durch ein Fernrohr näher betrachtet, bemerkt er etwas Erstaunliches: Vor seinem Auge erscheint kein durchgängig farbiges Band – stattdessen tauchen an einigen Stellen schwarze Lücken zwischen den Farben auf. Auf diese geheimnisvollen Linien ist einige Jahre zuvor bereits der englische Wissenschaftler William Hyde Wollaston aufmerksam geworden. Im Gegensatz zu ihm erkennt Fraunhofer jedoch, dass die Linien kein Zufallsprodukt sind, sondern in der Natur der Sonne liegen müssen.
574 dunkle Linien
Der Optiker beginnt daraufhin, die schwarzen Linien akribisch zu zählen und zu vermessen. Schließlich dokumentiert er 574 Linien unterschiedlicher Breite, von denen er die markantesten mit den Buchstaben A bis K benennt. Seine Ergebnisse veröffentlicht er in den Denkschriften der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und nutzt die später nach ihm benannten Linien fortan als Messmarken innerhalb der sonst ineinander verschwimmenden Farben von rot bis violett. Sie dienen ihm dazu, die Qualität seiner optischen Linsen zu bestimmen.
Wie die Linien im Sonnenlicht überhaupt zustande kommen und was sie bedeuten, das allerdings bleibt zunächst ein Geheimnis. „Wir sind heute dank der allgegenwärtigen Barcodes an verschlüsselte Informationen mit Strichen gewöhnt, aber als Fraunhofer diese schwarzen Linien entdeckte, war das noch völlig mysteriös“, sagt der Wissenschaftshistoriker Jürgen Teichmann von der Universität München.
Ein ungeklärtes Rätsel
Fraunhofer selbst widmet sich dem ungeklärten Rätsel nicht weiter – hofft aber offenbar, dass es andere tun werden: „Bei allen meinen Versuchen durfte ich, aus Mangel an Zeit, hauptsächlich nur auf das Rücksicht nehmen, was auf praktische Optik Bezug zu haben schien. Da der hier mit physisch-optischen Versuchen eingeschlagene Weg zu interessanten Ergebnissen führen zu können scheint, so wäre es sehr zu wünschen, dass ihm geübte Naturforscher Aufmerksamkeit schenken möchten“, schreibt er in der Schlussbemerkung zu seiner Veröffentlichung.
Zu diesem Zeitpunkt kann er jedoch kaum erahnen, dass er mit der Beschreibung seiner Linien Großes losgetreten hat: eine Revolution der Astronomie, die so bedeutsam ist wie die Erfindung des Fernrohrs 200 Jahre zuvor.
Daniela Albat
Stand: 09.11.2018