Das Volk der Muisca war nicht nur eine der prägenden Kulturen im Südamerika vor rund 500 Jahren. Die Bewohner des Hochlands von Kolumbien führten auch regelmäßig ein Ritual durch, das verblüffende Parallelen zur Legende vom goldenen Herrscher – dem „El Dorado“ – aufweist. Sollte hier der Ursprung des Mythos liegen?
Goldene Gaben für die Seegötter
Am ausführlichsten beschreibt der spanische Chronist Juan Rodriguez Freyle im Jahr 1638 dieses Ritual. „Die Zeremonie findet bei der Ernennung eines neuen Herrschers statt“, schildert Freyle. „Während dieser Zeremonie an der Lagune von Guatavita machen sie ein Floß aus Binsen und schmücken es mit den schönsten Dingen, die sie haben.“ Vier große Leuchter mit einer wohlriechenden Substanz werden ebenfalls auf das Floß gebracht. Der künftige Herrscher der Muisca wird dann ausgezogen, mit Schlamm beschmiert und über und über mit Goldstaub bepudert.
„Er wird komplett mit diesem Metall bedeckt“, so Freyle. „Dann bringen sie ihn auf das Floß und häufen zu seinen Füßen einen großen Berg von Gold und Smaragden auf – als Opfergaben für seinen Gott.“ Nachdem das Floß die Mitte des Sees erreicht hat, wird ein Banner gehoben und alle Zuschauer verstummen. Nun folgt die Opferung: „Der vergoldete Indianer wirft alle Haufen von Gold mitten in den See und die Anführer, die ihn begleitet haben, tun das gleiche mit ihren Gaben“, berichtet Freyle.
Ein goldenes Zeugnis dieses Rituals wurde im Jahr 1969 in einer Höhle unweit der Guatavita-Lagune entdeckt: Es handelt sich um ein kunstvoll gearbeitetes Floß aus Gold, das verblüffend genau der Beschreibung Freyles entspricht. Es zeigt eine größere Figur mit prachtvollem Kopfschmuck, die von kleineren Begleitern umgeben ist. Das knapp 20 Zentimeter lange Floß stammt aus der Zeit der Muisca und wurde mit der für sie typischen Gießtechnik hergestellt.
Schatzsuche im See
Nachdem Gerüchte von diesem Ritual an das Ohr der spanischen Konquistadoren dringen, zögern sie nicht lange: Schon im Jahr 1545 unternimmt der Spanier Hernan Perez de Quesada eine Expedition in die östlichen Anden, um nach der Lagune von Guatavita zu suchen. In der Nähe des heutigen Bogota wird er fündig – und macht sich sogleich ans Werk: Drei Monate lang lässt er einheimische Helfer mithilfe von Schalen Wasser aus dem See abschöpfen, bis dessen Wasserspiegel um rund drei Meter gesunken ist.
Am nun freigelegten Uferstreifen finden die Spanier tatsächlich einige Goldobjekte, die Opfergaben des Muisca-Rituals gewesen sein könnten. Doch der Gesamtwert dieser Funde liegt nur 3.000 bis 4.000 Pesos – heute entspräche dies gut 80.000 Euro. Sollte das schon alles gewesen sein?
Knapp 40 Jahre nach Quesada startet ein weiterer Spanier den Versuch, die Laguna de Guatavita trockenzulegen. Antonio de Sepulveda lässt dafür eine Kerbe in den Rand des Sees graben, um das Wasser abzuleiten. Doch nach Absinken des Pegels um 20 Meter stürzt das Ufer ein und begräbt Hunderte von einheimischen Arbeitern unter sich. Die Ausbeute des tragischen Unterfangens: Goldgegenstände im Wert von 12.000 Pesos, darunter goldene Schmuckstücke, verzierte Goldscheiben und Smaragde.
Humboldts Berechnung und die Schlamm-Misere
Auch wenn diese Funde weit unter den Erwartungen liegen, sie wecken die Hoffnung auf mehr – und dies noch Jahrhunderte später. So besucht auch Alexander von Humboldt während seiner Südamerika-Reise im Jahr 1801 die Laguna de Guatavita. Ausgehend von den Funden Sepulvedas schätzt er, dass in den Tiefen des Sees noch Schätze im Wert von umgerechnet 260 Millionen Euro liegen könnten – ein Wert, der durchaus einem echten El Dorado entsprechen würde.
Doch wie sollte man an diesen Schatz herankommen? Im Jahr 1898 versucht der britische Unternehmer Hartley Knowles sein Glück. Er lässt einen Tunnel graben, der in der Seemitte endet und als Abfluss dient. Tatsächlich gelingt es ihm so, den See komplett trockenzulegen. Dumm nur: Der Seegrund mitsamt der dort vermuteten Schätze ist von einer meterdicken Schlammschicht bedeckt, die nach dem Trocken hart wird wie Zement. Selbst mit Schaufeln und Hacken können die Arbeiter diesen Schlammpanzer nicht durchbrechen. Gold finden sie dadurch kaum. Wenig später läuft der See wieder voll.
Und nun?
Seit 1969 steht die Laguna de Guatavita unter strengem Schutz der kolumbianischen Regierung – jede Grabung ist strikt untersagt. Sollte am Grund dieses Sees tatsächlich das Gold der Muisca verborgen liegen, bleibt dieses damit vorerst unerreichbar. Insofern ist bis heute unklar, ob die Laguna de Gautavcita der sagenumwobene See des El Dorado war – und ob in seinen Tiefe Schätze schlummern.
Unabhängig davon sehen jedoch viele Archäologen im Ritual der Muisca den Ursprung des Mythos vom El Dorado. Ihrer Ansicht nach liegt es nahe, dass im Laufe der Zeit aus dem goldenen Herrscher und seiner Initiations-Zeremonie ein ganzes Reich voller Gold wurde. Das würde bedeuten: Das El Dorado, nach dem die Spanier so lange gesucht haben, wurde schon vor mehr as 500 Jahren von ihnen zerschlagen und zerstört.