Astronomie

Hyaden: „Stierkopf“ hat zwei Sternenschweife

Astronomen weisen erstmals Gezeitenschweife bei einem offenen Sternhaufen nach

Hyaden
Die Hyaden bilden das V im Kopf des Sternbilds Stier. An ihnen haben Astronomen erstmals die Existenz von Sternenschweifen bei offenen Sternhaufen nachgewiesen. © Sololos/ iStock.com

Von der Milchstraße auseinandergerissen: Der mit bloßem Auge sichtbare Sternhaufen der Hyaden besitzt zwei große Sternenschweife, wie nun Analysen enthüllen. Sie bestehen aus hunderten von Sternen, die vom Schwerkraft-Einfluss der Milchstraße aus dem hellen Sternen-V herausgerissen wurden. Lange hatten Astronomen vergeblich nach solchen Gezeitenschweifen bei offenen Sternhaufen gesucht. Erst jetzt konnten sie am Fall der Hyaden beweisen, dass sie existieren.

Für Zwerggalaxien und Sternenhaufen ist die Milchstraße ein gefährlicher Ort. Denn immer wieder gehen ihnen Sterne und ganze Sternenströme verloren, weil sie ihnen vom Schwerkraft-Einfluss unserer Heimatgalaxie entrissen. Zeugnisse für einen solchen Sternenklau ist unter anderem der Aquarius-Strom, der aus einer kleineren Nachbargalaxie stammt. Einige andere Sterne wurden dagegen aus der Sagittarius-Zwerggalaxie „gestohlen“.

Rätsel der fehlenden Sternenschweife

Die „Opfer“ eines solchen Sternendiebstahls werden aber selten komplett zerrissen. Stattdessen sind diese Sternhaufen und Zwerggalaxien an lang ausgezogenen Sternenschweifen erkennbar – Ströme aus Sternen, die vorne und hinten aus ihren Heimatsystemen herausragen. Für Astronomen sind sie wertvolle „Zeitzeugen“, weil die Hinweise auf die vergangene Entwicklung solcher Sternansammlungen geben.

Merkwürdig nur: „Bisher wurden nur die Gezeitenschweife von massereichen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien im Milchstraßensystem entdeckt“, berichten Siegfried Röser vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg und seine Kollegen. „Obwohl solche Schweife auch bei offenen Sternenhaufen der Milchstraße existieren müssen, konnte man sie bisher nicht finden.“ Doch das hat sich nun geändert.

Sternbild Stier
Lage der Hyaden im Kopf des Stieres. © Stellarium

Hyaden: Kopf des Stieres im Visier

Um die fehlenden Sternenschweife zu finden, haben sich die Astronomen einen der nächstgelegenen und bekanntesten offenen Sternenhaufen vorgenommen: die Hyaden. Diese aus rund 350 Sternen bestehende Ansammlung liegt nur 153 Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Stier. Mit bloßem Auge betrachtet bildet der Sternhaufen das auffällige Sternen-V im Kopf des Stieres. Astrophysikalischen Modellen zufolge müssten die Hyaden zwei Sternenschweife besitzen, die sich mehrere hundert Lichtjahre weit nach vorne und hinten erstrecken.

Bisher allerdings gab es davon keine Spur. Röser und sein Team haben deshalb den derzeit detailliertesten Sternenkatalog der Milchstraße konsultiert: die Daten des Gaia-Satelliten. Aus den Positionen und Bewegungen von knapp 1,5 Millionen Sternen ermittelten die Forscher, welche Sterne im Umfeld der Hyaden sich mit diesen mitbewegen – und daher zu versteckten Sternenströmen gehören könnten.

Gezeitenschweife vorne und hinten

Sie wurden fündig: Die Analysen enthüllten die Präsenz von zwei Gezeitenschweifen beiderseits des Sternhaufens der Hyaden. Diese Schweife bestehen aus Sternen, die sich mit den Hyaden mitbewegen – und so ihre Schwerkraftbindung an den Sternhaufen verraten. „Der voranlaufende Schweif besteht aus 292 Sternen und erstreckt sich rund 550 Lichtjahre weit in Rotationsrichtung unserer Galaxie“, berichten die Astronomen. „Der hintere Schweif besteht aus 232 Sternen und reicht rund 228 Lichtjahre weit.“

Damit haben Röser und sein Team nachgewiesen, dass auch offene Sternhaufen in der Milchstraße solche Sternenschweife besitzen. Ihre Beobachtungen an den Hyaden stimmen zudem gut mit dem überein, was sogenannte N-Körper-Modelle des Haufens und seiner Schweife vorhersagen, wie die Forscher berichten. „Unsere Entdeckung zeigt, dass es möglich ist, die Bahnen einzelner Sterne der Milchstraße zu ihrem Entstehungsort in einem Sternhaufen zurückzuverfolgen“, sagt Röser.

Die Astronomen sehen in ihrer Entdeckung nur den Anfang. Denn sie sind sich sicher: Künftig könnten auf ähnliche Weise noch viele weitere bisher verborgene Sternenschweife aufgespürt werden. Nach und nach entsteht so ein vollständigeres Bild der Wechselwirkung der Milchstraße mit ihren „Bewohnern“ und nahen Nachbarn. (Astronomy & Astrophysics, 2019: doi: 10.1051/0004-6361/201834608)

Quelle: Universität Heidelberg

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