Medizin

Neuer Schutzmechanismus des Darms entdeckt

Positiver Stress der Darmzellen stärkt Abwehr gegen Entzündungen

DArmzellen
Bei "positivem Stress" rufen die Darmzellen (blau) Abwehrzellen (grün) herbei, die Immunglobulin A produzieren – und das schützt die Darmschleimhaut. © Brigham & Women’s Hospital/ Harvard Medical School

Unerkannte Abwehrtruppe: Forscher haben im menschlichen Darm einen bisher unerkannten Schutzmechanismus gegen Darmentzündungen identifiziert. Ausgelöst wird er durch Stress bestimmter Bestandteile der Darmschleimhautzellen. Dies bringt Abwehrzellen dazu, Immunglobulin A auszuschütten – und das stärkt die Darmbarriere und verhindert überschießende Entzündungsreaktionen. Forscher hoffen nun, dass dieser Mechanismus auch die Therapie entzündlicher Darmerkrankungen verbessern könnte.

Millionen Menschen weltweit leiden unter chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Allein in Deutschland sind rund 300.000 Patienten von diesen durch Durchfälle und Bauchschmerzen begleiteten Erkrankungen betroffen. Was diese Darmentzündungen verursacht, ist bislang unklar. Als mögliche Auslöser gelten neben genetischen Risikofaktoren Störungen der Darmflora und der Darmbarriere durch Umweltchemikalien, Desinfektionsmittel oder Nanopartikel.

Stress mit positiver Wirkung

Jetzt haben Forscher einen Akteur im Darm entdeckt, der offenbar ebenso positive wie negative Wirkung auf die Darmgesundheit haben kann. Dabei handelt es sich um das endoplasmatische Retikulum (ER) – ein verzweigtes Membrannetzwerk innerhalb der Darmschleimhautzellen. Dieses reagiert sensibel auf Stress durch Umweltfaktoren und kann so entzündliche Darmentzündungen fördern.

Doch wie sich nun zeigt, kann der ER-Stress den Darm auch vor Entzündungen schützen. Für ihre Studie hatten Joep Grootjans von der Harvard Medical School und seine Kollegen die Folgen von ER-Stress bei Mäusen untersucht. Dabei stellten sie fest: Gerieten die Zellen der Darmschleimhaut unter Stress, rekrutierten sie gezielt Immunzellen aus der Bauchhöhle. „Unsere Daten zeigen, dass der Darm bei ER-Stress über bislang noch unbekannte Faktoren aktiv mit diesen Zellen kommuniziert und sich damit Hilfe aus der Ferne holt“, erklärt Grootjans Kollege Niklas Krupka.

Antikörper als Schutztruppe

Das Spannende daran: Die herbeigerufenen Plasmazellen begannen daraufhin, Antikörper vom Typ Immunoglobulin A (IgA) auszuschütten – und das wirkte sich positiv auf den Darm aus. Denn die vermehrte Präsenz dieser Immunproteine verstärkte die Schutzbarriere der Darmschleimhaut und konnte die Mäuse vor überschießenden Entzündungsreaktionen schützen. Unterbanden die Forscher dagegen die Produktion oder den Transport der Antikörper, blieb der Schutzeffekt aus und es kam zu einer Darmentzündung.

Interessant auch: Diese Schutzmechanismus ist offenbar unabhängig von der Darmflora. Denn wie die Wissenschaftler feststellten, tritt diese Immunreaktion auch bei völlig keimfreien Mäusen auf: „Allein durch das genetische Erzeugen von ER-Stress in den Darmzellen konnten wir in keimfreien Mäusen einen deutlichen Anstieg der IgA-Produktion auslösen“, berichtet Krupka. „Dies zeigt, dass wir es mit einem fundamentalen Schutzmechanismus des Darmes zu tun haben, für den nicht einmal eine natürliche mikrobielle Besiedlung erforderlich ist.“

Neuer Ansatz für Therapie von Darmentzündungen

Grootjans und sein Team gehen davon aus, dass dieser Schutzmechanismus auch im menschlichen Darm vorhanden ist. Ein Indiz dafür entdeckten sie in Darmbiopsien von Personen, die eine ER-Stress-fördernde Genvariante besaßen: Auch bei ihnen fanden sich vermehrt IgA-produzierende Zellen im Darm. Das könnte darauf hindeuten, dass diese Schutzreaktion bei Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen genetisch bedingt schwächer ausfällt oder sogar ganz fehlt.

Die Forschenden hoffen, dass die gewonnenen Erkenntnisse in Zukunft für neue Behandlungsansätze für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen genutzt werden können und planen bereits weiterführende Studien. „ER-Stress der Darmschleimhaut kann eine nützliche Funktion ausüben – vergleichbar mit dem aus der Psychologie entlehnten Begriff ‚Eustress‘: einem stressauslösenden Reiz, der den Organismus jedoch positiv beeinflusst“, sagt Krupka. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aat7186)

Quelle: Universität Bern

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