Spektakulärer Erfolg: Mediziner haben möglicherweise einen HIV-Patienten geheilt. Sie verabreichten dem zusätzlich an Krebs erkrankten Betroffenen Stammzellen mit einer besonderen Genvariante. Diese hindert die HI-Viren am Befall der Zellen. Der Patient zeigt dadurch seit 18 Monaten keine Symptome mehr. Er ist damit erst der weltweit zweite Patient, der langfristig von seiner HIV-Infektion befreit worden sein könnte.
Aids ist inzwischen zwar gut behandelbar, aber ein Heilmittel gibt es nicht. Deshalb galt Timothy Ray Brown bisher als spektakulärer Einzelfall: Der als „Berliner Patient“ bekannt gewordene US-Amerikaner wurde vor zehn Jahren von seiner HIV-Infektion geheilt. Mediziner hatten ihm damals wegen einer Leukämie-Erkrankung Blutstammzellen transplantiert, die den Krebs und gleichzeitig die Virus-Infektion bekämpfen sollten.
Die Ärzte nutzten dafür Knochenmark eines Spenders, der eine Mutation namens Δ32 im Gen für den CCR5-Rezeptor trug. Das Besondere: Unter anderem diesen Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen nutzt das HI-Virus als Eintrittspforte zur Infiltrierung des Immunsystems. Durch die Mutation bleibt dem Erreger dieser Weg verwehrt. Menschen, die diese Genveränderung auf beiden Allelen tragen, sind deshalb weitestgehend resistent gegen eine HIV-Infektion.
Nach zwei Stammzelltransplantationen war auch Brown immun – und offenbar langfristig von der eigentlich unheilbaren Erkrankung befreit.
Ein zweiter Erfolg
Nun berichten Ravindra Gupta vom University College London und seine Kollegen von einem zweiten Fall: Sie haben möglicherweise einen weiteren HIV-Betroffenen geheilt. Es handelt sich um einen HIV-Patienten, der am Hodgin-Lymphom erkrankt war – einem Lymphdrüsenkrebs. Um dieses Leiden zu therapieren, versuchte es das Team ebenfalls mit einer Knochenmarkstransplantation.
Wie beim „Berliner Patienten“ wählten sie dafür einen Spender aus, der zwei Kopien der Δ32-Mutation in seinem Erbgut trug. Vor der eigentlichen Transplantation sorgten sie mithilfe von Medikamenten dafür, dass die von Krebs befallenen Knochenmarkzellen des Empfängers abstarben. Anders als bei Brown musste sich der Patient vor dem Eingriff keiner Bestrahlung des gesamten Körpers unterziehen.
Keine Symptome mehr
Würden die neuen Blutstammzellen den Krebs verbannen und gleichzeitig der HIV-Infektion den Garaus machen können? Es zeigte sich: Der Patient, der anonym bleiben möchte, vertrug die Transplantation insgesamt gut, auch wenn es zunächst einige Nebenwirkungen gab. Nach dem Eingriff wurde er zunächst weiter mit antiretroviralen Medikamenten gegen HIV behandelt.
Nach 16 Monaten aber wagten die Mediziner den entscheidenden Schritt: Sie setzten die Medikamente, die die Infektion unterdrücken, ab. Trotz allem zeigte der Patient später keine Symptome einer HIV-Infektion. Bis heute – 18 Monate später – scheint der Transplantierte gesund zu sein. Seine weißen Blutzellen tragen nun jene Mutation, die CCR5-abhängige HI-Erreger am Eindringen hindert, wie das Team berichtet.
Wirklich geheilt?
Doch ist der Patient damit wirklich geheilt? In dieser Hinsicht geben sich Gupta und seine Kollegen vorsichtig: „Wir sprechen lieber von einer Langzeit-Remission, auch, weil wir uns bisher nur das Blut und kein anderes Gewebe angeschaut haben“, sagt Gupta. „Nach zwei Jahren können wir vielleicht schon eher über ‚Heilung‘ sprechen.“
Tatsächlich sind nach dem Erfolg bei Brown noch ein paar weitere HIV-infizierte Krebspatienten mit Stammzellen behandelt worden – bei ihnen war die Therapie jedoch nicht von langfristigem Erfolg. Dass mit dem „Londoner Patienten“ nun erneut eine Heilung zumindest möglich scheint, ist für die HIV-Forschung ein großer Schritt, wie der nicht an der Studie beteiligte Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln kommentiert: „Der Bericht zeigt, dass die Heilung des Berliner Patienten kein singuläres Ereignis war, sondern prinzipiell wiederholbar ist.“
Nicht sinnvoll als Standardtherapie
Doch selbst wenn sich herausstellt, dass der Patient auch in den kommenden Jahren und Monaten keine Symptome einer HIV-Infektion zeigt: Als Standardtherapie eignet sich die Stammzelltransplantation wohl trotzdem nicht. „Es handelt sich auch bei der weniger aggressiven Vorbehandlung immer noch um einen massiven Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt und signifikantem Risiko, der angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre, wenn nicht aus anderen medizinischen Gründen indiziert“, betont Hans-Georg Kräusslich vom Universitätsklinikum Heidelberg.
Dieser Meinung ist auch Fätkenheuer: „Mit der Stammzelltransplantation ist der Schlüssel zur HIV-Heilung noch nicht entdeckt.“ (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1027-4)
Quelle: Nature Press/ University College London/ Science News