Quantencomputer als Zeitmaschine: Physiker haben das scheinbar Unmögliche möglich gemacht – und die Zeit umgekehrt. Sie brachten Qubits auf einem Quantencomputer für Sekundenbruchteile dazu, sich gegen den Zeitpfeil der Thermodynamik zu entwickeln. Statt zufällige, unordentliche Zustände einzunehmen, sprangen die Qubits auf ihren geordneten Ausgangszustand zurück. Dies entspricht einer Umkehrung der normalen Entropie und damit auch der Zeit, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.
Das zweite Gesetz der Thermodynamik gibt für viele Prozesse eine eindeutige Richtung vor. In einem geschlossenen System nimmt demnach die Unordnung – in Form der Entropie – stets zu. Wird beispielsweise ein Dreieck aus Billardkugeln beim Anstoß zerstreut, werden sich die Kugeln nicht von selbst wieder zum Dreieck anordnen. Auch eine zerbrochene Tasse wird nicht von selbst wieder ganz. Auch wenn andere Gesetze der Physik durchaus symmetrisch und reversibel sind – für die Entropie gilt dies nicht.
Kann die Zeit rückwärts laufen?
Dieses Gesetz der Thermodynamik beeinflusst auch eine weitere fundamentale Größe – die Zeit. „Das Gesetz ist eng mit der Vorstellung vom Zeitpfeil verknüpft: Es besagt, dass die Zeit eine Einbahnstraße ist – sie verläuft immer von der Vergangenheit zur Zukunft“, erklärt Gordey Lesovik vom Moskauer Institut für Physik und Technologie. Eine Umkehr der Zeit gilt daher als unmöglich – eigentlich.
Es gibt jedoch Berechnungen, nach denen unter bestimmten Bedingungen doch eine Zeitumkehr möglich sein könnte. „Es wurde quantitativ beschrieben und experimentell gezeigt, dass in einem eng begrenzten Zeitintervall eine umgekehrte Dynamik auftreten kann“, erklären Lesovik und sein Team. So wurden in einem Quantensystem lokal begrenzte Verstöße gegen die Gesetze der Thermodynamik gemessen, die einer Umkehr des thermodynamischen Zeitpfeils entsprechen könnten.
Ein Elektron im Universum
Doch wie wahrscheinlich ist eine solche lokale Zeitumkehr? Um das herauszufinden, haben Lesovik und sein Team dies zunächst in einem Gedankenexperiment durchgerechnet: Sie stellten sich ein Elektron vor, das isoliert im interstellaren Raum schwebt. „Zu Beginn unserer Beobachtung ist das Elektron lokalisiert – wir kennen seine Position ziemlich genau“, sagt Lesoviks Kollege Andrey Lebedev.
Nach Schrödingers Gesetz wächst jedoch mit der Zeit die Unschärfe – die Raumregion, in der das Elektron wahrscheinlich schwebt, wird größer. Die Position des Elektrons „verschmiert“ dadurch immer mehr – die Unordnung nimmt zu. „Aber Schrödingers Gleichung ist reversibel“, sagt Valerii Vinokur vom Argonne National Laboratory in Illinois. Bei einer bestimmten mathematischen Transformation, komplexe Konjugation genannt, kann die Gleichung daher beschreiben, wie das verschmierte Elektron wieder auf einen lokalisierten Punkt zusammenschrumpft.
Das Problem nur: Die Wahrscheinlichkeit dafür ist verschwindend gering. Um diese Umkehr der Entropie auch nur einmal bei einem Elektron zu beobachten, müsste man länger als die gesamte Lebenszeit des Kosmos warten. Und selbst dann würde das Elektron nicht mehr als eine zehn Milliardstel Sekunde in die Vergangenheit springen, wie die Forscher erklären. Mit den Zeitreisen der Science-Fiction hat das leider nicht viel zu tun.
Quantencomputer als Zeitmaschine
Trotzdem ist es Lesovik und seinem Team nun gelungen, zumindest eine kurzzeitige Umkehr der Entropie live zu beobachten – in einem Quantencomputer. Dafür stellten sie zunächst drei Qubits im per Cloud zugänglichen IBM-Quantencomputer auf null. Dieser Grundzustand entspricht dem lokalisierten, geordneten Ausgangszustand im Elektronen-Gedankenexperiment.
Dann folgte eine Periode der zunehmenden Unordnung: Dem Gesetz der Thermodynamik folgend, wechselten die Qubits spontan ihren Zustand und nahmen zufällige Werte von Null und Eins an. Um diesen Prozess zu beschleunigen, ahmte ein Programm den Einfluss der Thermodynamik nach. Nun aktivierten die Physiker die komplexe Konjugation aus Schrödingers Gleichung, gefolgt von einer erneuten Anwendung des Thermodynamik-Programms.
Sprung zurück zum Ausgangszustand
Das überraschende Ergebnis: Statt die Qubits erneut in zufällige, „unordentliche“ Zustände zu bringen, versetzte das Programm sie diesmal für kurze Zeit wieder in den geordneten Ausgangszustand: Alle stellten sich kurzzeitig wieder auf null. „Damit ermöglicht uns der Quantencomputer eine experimentelle Demonstration einer umgekehrten Zeitdynamik“, sagen Lesovik und seine Kollegen.
Die Forscher vergleichen dieses Phänomen mit einem extrem unwahrscheinlichen Ereignis am Billardtisch: Nachdem die Billardkugeln durch den Anstoß willkürlich verteilt wurden, tritt jemand gegen eines der Tischbeine. Durch diese Erschütterung ordnen sich die Kugeln wie durch Zauberhand wieder in ihrem ursprünglichen Dreieck an. Im Falle des Elektrons entspräche dies dem plötzlichen Rücksprung in den lokalisierten Zustand.
Im Quantencomputer ist den Forschern dieser Zeitsprung bei zwei Qubit-Systemen in 85 Prozent der Fälle gelungen. Bei drei Qubits sank die Erfolgsquote wegen häufigerer Fehler auf rund 50 Prozent. Doch Lesovik und sein Team erwarten, dass die Fehlerrate bei künftigen Quantencomputern sinken wird. Zeitsprünge – wenn auch nur mit Qubits – könnte dann einfacher werden. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-40765-6)
Quelle: Moscow Institute of Physics and Technology (MIPT)