Physik

Graphit macht Hitze zur Welle

Forscher entdecken ungewöhnliche Wärmeausbreitung im Allerweltsmaterial

Wärmewelle
Hitze bewegt sich durch kaltes Graphit nicht durch Diffusion wie normalerweise, sondern geballt als Welle. © Christine Daniloff

Exotischer Effekt: Ein so normales Material wie Graphit kann Hitze zu einem ungewöhnlichen Verhalten bringen. Denn statt sich diffus auszubreiten, bildet die Wärme in kaltem Graphit eine Welle – und breitet sich damit ähnlich geballt aus wie der Schall. Das Spannende daran: Durch diese Welle wird die Hitze abrupt und vollständig abgeleitet – und das könnte eine neuartige, hocheffektive Kühlung von Computern und Elektronikbauteilen ermöglichen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Graphit ist ein Allerweltsmaterial: Diese Kohlenstoffform steckt in den Schreibminen unserer Bleistifte, wird als Schmierstoff oder Ofenauskleidung eingesetzt und dient in Lithium-Ionen-Akkus als Elektrode. Zudem ist Graphit der gängige Ausgangsstoff bei der Herstellung des „Wundermaterials“ Graphen. Denn jede einzelne der nur lose verbundenen Kohlenstoffschichten im Graphit besteht aus einem Graphengitter.

Welle statt Diffusion

Doch wie sich jetzt zeigt, kann Graphit auch ganz exotische Eigenschaften entfalten – wenn man dieses Kohlenstoffmaterial stark abkühlt. Denn dann kann es Hitze dazu bringen, sich wie eine Schallwelle auszubreiten, wie Sam Huberman und sein Team vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) herausgefunden haben. Dieses von Physikern als „zweiter Schall“ bezeichnete Phänomen einer „Wärmewelle“ war bisher nur von einer Handvoll exotischer Materialien bekannt.

Das Ungewöhnliche daran: Normalerweise breitet sich Wärme in einem nichtmetallischen Feststoff wie durch Diffusion aus: Am Ursprungsort verursacht die Wärmeenergie stärkere Vibrationen der Atome, die sich dann langsam auf angrenzende Gebiete des Kristallgitters übertragen. Dieser Prozess läuft typischerweise eher langsam und diffus ab. Der Ursprungsort bleibt dabei die wärmste Stelle, weil ein Teil der Wärme immer zurückgestreut wird, wie die Wissenschaftler erklären.

„Zweiter Schall“ im Graphit

In ihrem Experiment nutzten Hubermann und sein Team ein kleines, polykristallines Graphitstück mit einer Korngröße von zehn Mikrometern. Mit zwei gekreuzten Laserstrahlen erzeugten die Forscher auf der Oberfläche des Graphits ein Interferenzmuster. Durch dieses wurden die hellen Stellen erhitzt, die dunklen blieben kühl. Bei normaler Wärmeausbreitung müsste dieses Wärmemuster allmählich abflauen und schließlich verblassen – bei Raumtemperatur geschah dies auch.

Nicht aber, wenn das Graphit auf unter minus 120 Grad abgekühlt wurde: „Dann beobachteten wir ein überraschend anderes Verhalten“, berichtet Koautor Ryan Duncan. Statt allmählich zu verblassen, kehrte sich das Wärmemuster um. Die zuvor heißen Stellen wurden kalt, die zuvor kalten dagegen heiß. „Mit anderen Worten: Das thermische Gitter verhielt sich wie eine stehende Welle“, so die Forscher. Das aber sei das Kennzeichen einer wellenartigen Ausbreitung von Wärme – dem „zweiten Schall“.

„Ich konnte es nicht glauben!“

„Das widerspricht völlig unserer Alltagserfahrung und dem typischen thermischen Transport in fast jedem sonstigen Material“, sagt Duncan. „Als ich das sah, musste ich mich erstmal setzen – ich konnte es nicht glauben!“ Doch die thermische Welle im Graphit erwies sich als zuverlässig reproduzierbar. Damit sei klar, dass auch das Allerweltmaterial Graphit diese ungewöhnlichen Wärmeleit-Eigenschaften besitzen kann. „Das ist wirklich ungewöhnlich und aufregend“, so die Forscher.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die spezielle, sehr geordnete Schichtstruktur des Graphits diesen Effekt möglich macht. „Dieses Verhalten könnte daher auch in anderen geschichteten und zweidimensionalen Materialien wie Graphen auftreten“, sagen Duncan und seine Kollegen. „Damit könnte dies ganz neue Wege eröffnen, um Transportphänomene in Mikro- und Nanogrößenordnungen zu manipulieren.“

Effektive Kühlung für Elektronikbauteile

Ein Beispiel dafür: Weil die Hitze bei diesem exotischen Prozess nahezu instantan und vollständig abgeleitet wird, könnte der zweite Schall ganz neue Möglichkeiten der Kühlung bieten – beispielsweise für moderne Computerbauteile. „Geräte wie Computer und andere Elektronik sollen immer kleiner und dichter werden, aber das macht es auch immer schwerer, die entstehende Wärme abzuleiten“, erklärt Koautor Keith Nelson.

Doch wenn man den „zweiten Schall“ in Form eines Graphit- oder Graphen-Kühlers einsetzen würde, könnten selbst kleine, sehr heiße Bauteile kühl gehalten werden. Denn deren Hitze würde dann in Wellen „weggetragen“, was die Kühlung deutlich effektiver macht. „Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der zweite Schall bei Graphen sogar noch ausgeprägter sein könnte als bei Graphit“, so Nelson. Das sei für die Kühlung von Mikroelektronik noch geeigneter. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aav3548)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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