Gigant der Urzeit: In der Barentssee haben Geologen das größte bekannte Flussdelta der gesamten Erdgeschichte entdeckt. Die urzeitliche Flussmündung lag vor rund 230 Millionen Jahren am Nordrand des Urkontinents Pangäa. Mit einer Fläche von mehr als einer Million Quadratkilometern war dieses Delta gut zehnmal größer als das Amazonas-Delta, das heute größte Delta der Erde, wie die Forscher im Fachmagazin „Geology“ berichten.
Landschaften zwischen Land und Meer: Dort, wo ein Fluss ins Meer mündet, bildet sich oft ein ausgedehntes Delta – ein Gebiet, das von Sedimentablagerungen, aber auch von Flussströmungen und den Gezeiten des Meeres geprägt ist. Deltas wie das des Amazonas, Mekong, des Ganges oder des Nils haben zudem die Entwicklung vieler Kulturen gefördert und gehören bis heute zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Erde.
Vergangene Delta-Giganten
Doch selbst die größten Flussmündungen der heutigen Zeit erscheinen klein gegen einige Deltas, die während früherer Perioden der Erdgeschichte existierten. Während des Eiszeitalters beispielsweise legten die niedrigen Meeresspiegel weite Teile der flachen Schelfsockel frei und ermöglichten so die Bildung ausgedehnter, mäandrierender Flussmündungen – unter anderem auf dem nördlichen Sunda-Schelf, in der Tschuktschensee Sibiriens oder im australischen Golf von Carpentaria.
Doch sie alle werden von einem wahren Giganten unter den urzeitlichen Flussdeltas übertroffen, wie nun Tore Grane Klausen und seine Kollegen von der Universität Bergen in Norwegen herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie seismische Daten und Gesteinsproben ausgewertet, die in verschiedenen Teilen der heutigen Barentssee bei der Suche nach Erdöl- und Gasvorkommen gesammelt worden waren.
Delta-Relikte in der gesamten Barentssee
Die Daten enthüllten: Unter dem Meeresgrund der Barentssee liegen die Sedimente und Kanäle eines gewaltigen Flussdeltas, das vor rund 230 Millionen Jahren an der Nordküste des Urkontinents Pangäa existierte. „Spuren dieses urzeitlichen Deltasystems sind in der gesamten heutigen Barentssee zu finden und auch in vielen Gesteinsaufschlüssen auf Inseln entlang der nördlichen Flanke dieses Beckens“, berichten die Forscher.
Die seismischen Aufnahmen zeigen unter anderem die Relikte zahlreicher mäandrierender Flussläufe, die sich durch das Urzeit-Delta schlängelten. Die kilometerdicken Sedimentablagerungen des Schwemmlands reichen mehr als 1.000 Kilometer in das Meeresbecken hinein – wahrscheinlich sogar noch weiter: „Die Nordwest-Grenze dieses Systems lässt sich nicht ermitteln, daher ist es unmöglich zu sagen, wie weit dieses Delta reichte“, berichten Klausen und seine Kollegen.
Zehnmal größer als das Amazonas-Delta
Die Geologen schätzen die Größe dieses Urzeit-Deltas auf eine Größe von mindestens 1,65 Millionen Quadratkilometer. „Damit ist dieses Deltagebiet am Triassischen Borealen Ozean größer als alle gegenwärtigen und bisher bekannten urzeitlichen Gegenparts“, konstatieren die Forscher. Selbst das Amazonas-Delta, die heute größte Mündungsebene der Erde, ist mit rund 108.000 Quadratkilometern um das Zehnfache kleiner, wie sie berichten.
Das Einzugsgebiet des riesigen Urzeitdeltas könnte zwischen 1,12 und 6,76 Millionen Quadratkilometer des Urzeitkontinents Pangäa umfasst haben – diese Fläche entspräche heute einem Gebiet vom Ural bis nach Mitteleuropa und zum Mittelmeer. „Zwar trugen wahrscheinlich viele kleinere Flüsse zum Wasser- und Sedimenttransport in diesem Einzugsgebiet bei, aber ein großes Hauptflusssystem aus dem Südosten war die Hauptquelle für das Sediment im Delta“, berichten Klausen und seine Kollegen.
Stabiles Treibhausklima begünstigte Riesendelta
Doch wie konnte sich ein solcher Gigant unter den Deltas bilden? Wie die Geologen herausfanden, kamen dafür gleich mehrere günstige Umstände zusammen: Zum einen transportierten die Flüsse besonders große Mengen an Sediment zur Mündung, was die Entstehung eines ausgedehnten Schwemmfächers begünstigte. Zum anderen lag damals vor der Nordküste von Pangäa ein relativ flaches Meeresbecken, in das die Mündung vorrücken konnte.
Am wichtigsten aber war vermutlich ein klimatischer Faktor: Während der Trias blieben die Meeresspiegel über Millionen Jahre stabil und die Küstenlinien veränderten sich kaum, wie die geologischen Daten belegen. „Diese Stabilität der Meeresspiegel bestätigt, dass in der Trias ein Treibhausklima ohne ausgeprägte Vereisungen herrschte“, sagen die Forscher. Dies ermöglichte es den Flüssen am Nordrand von Pangäa, über lange Zeiträume hinweg ihr Sediment vor der Mündung abzulagern und ein so riesiges Delta zu bilden.
„Doch trotz ihrer enormen Größe zeigt diese urzeitliche Delta-Ebene ähnliche geomorphologische Merkmale wie viele moderne Deltas“, betonen Klausen und sein Team. Die Mechanismen und Voraussetzungen, die die Bildung solcher Delta-Landschaften ermöglichen, seien demnach auch heute nicht grundsätzlich andere. (Geology, 2019: doi: 10.1130/G45507.1)
Quelle: Geological Society of America, The (GSA)