Gencode für eine „Frankenstein“-Mikrobe: Forscher haben erstmals das Genom einer ganz neuen, synthetischen Bakterienart erschaffen – eine im Computer entworfene Lebensform. Ausgehend von einem natürlichen Vorbild verkürzten und veränderten die Forscher rund 130.000 von 800.000 DNA-Buchstaben und konstruierten so ein synthetisches Bakteriengenom. Noch existiert keine lebende Zelle dieser neugeschaffenen Lebensform, doch erste Tests mit Teilabschnitten waren bereits erfolgreich.
Die Erschaffung künstlicher, maßgeschneiderter Lebensformen ist ein Traum vieler Gentechniker – aber auch hoch umstritten. Dank Fortschritten in der synthetischen Biologie kommen Wissenschaftler einer Realisierung dieses Traums immer näher. Bereits 2010 gelang es Craig Venter und seinem Team, das Erbgut eines Bakteriums 1:1 nachzubauen und lebenden Mikroben einzupflanzen. Wenig später konstruierten Forscher auch das erste synthetische Chromosom einer eukaryotischen Zelle – einer Hefe.
DNA-Code umgeschrieben
Doch all diese Durchbrüche haben eines gemeinsam: Die synthetisch hergestellten DNA-Sequenzen waren weitgehend unveränderte, nur leicht gekürzte Kopien ihrer natürlichen Vorbilder. Einen Schritt weiter sind nun Jonathan Venetz von der ETH Zürich und seine Kollegen gegangen. Denn sie haben ihr synthetisches Bakteriengenom nicht nur kopiert, sondern es mit Computerhilfe auch in Teilen ganz neu entworfen.
„In unserem Genom ist die Abfolge der DNA-Bausteine neu und gegenüber der ursprünglichen Abfolge nicht mehr wiederzuerkennen“, erklärt Venetz‘ Kollege Beat Christen. „Die biologische Funktion auf Ebene der Proteine bleibt jedoch dieselbe.“ Ausgangspunkt des Experiments war das Erbgut des weltweit verbreiteten Süßwasserbakteriums Caulobacter crescentus. Von Natur aus besteht dessen Genom aus rund 4.000 Genen, nur rund 680 davon sind jedoch für das Überleben der Mikrobe essenziell, wie frühere Studien belegt haben.
Genom einer neuen, künstlichen Art
In ihrem Experiment nutzten die Forscher einen Computeralgorithmus, um die Bakteriengene drastisch zu vereinfachen und den DNA-Code zu vereinheitlichen. Während beispielsweise im natürlichen Genom mehrere Basenabfolgen für das gleiche Protein kodieren, wurde im Nachbau nur einer dieser Codes verwendet. Insgesamt veränderten die Forscher so rund 130.000 der 800.000 DNA-Bausteine gegenüber dem natürlichen Vorbild, wie sie berichten.
Aus DNA-Basen bauten Venetz und sein Team dann diese veränderte Sequenz im Labor nach und erzeugten so ein komplett synthetisches Bakteriengenom. Wegen der starken Abweichungen zum Original betrachten die Forscher ihre Kreation als neue Art und taufen sie Caulobacter ethensis 2.0. Unter diesem Namen ist das synthetische Erbgut jetzt offiziell in der Datenbank des National Center for Biotechnology Information (NCBI) in den USA eingetragen.
Erste lebende Zellen könnten bald folgen
Die große Frage aber war: Kann aus diesem Kunst-Genom auch ein lebensfähiger synthetischer Organismus entstehen? Um das zu testen, haben die Forscher bereits Bakterien erzeugt, bei denen jeweils einige natürliche Gene durch die synthetischen DNA-Abschnitte ersetzt sind. Durch diesen schrittweisen Austausch konnten sie ermitteln, dass rund 580 der 680 künstlichen Gene in Caulobacterzellen funktionsfähig sind.
„Unsere Methode ist ein Lackmustest um zu überprüfen, ob wir Biologen die Genetik richtig verstanden haben und sie erlaubt uns, allfällige Wissenslücken zu entdecken“, erklärt Beat Christen. Mit dem nun gewonnenen Wissen werde es möglich sein, den Algorithmus zu verbessern und eine voll funktionsfähige Genom-Version 3.0 zu entwickeln. „Wir glauben, dass es bald auch möglich sein wird, aus einem solchen Genom funktionsfähige bakterielle Zellen herzustellen“, so Christen.
Nützlich, aber ethisch umstritten
Damit könnte bald ein erster synthetischer, quasi „am Reißbrett“ geplanter Organismus zum Leben erweckt werden. „Auch wenn die derzeitige Genom-Version noch nicht perfekt ist, so zeigt unsere Arbeit dennoch, dass biologische Systeme so einfach aufgebaut sind, dass wir sie in Zukunft am Computer nach unseren Zwecken definieren und anschließend bauen können“, sagt Koautor Matthias Christen von der ETH Zürich.
Damit hat diese Technologie großes Potenzial, wirft aber auch ethische Fragen auf. So könnten mithilfe solcher synthetischer Genome Mikroben produziert werden, die Medikamente, Impfstoffe und andere nützliche Biomoleküle erzeugen. Andererseits aber stellen solche künstlichen Lebensformen einen erheblichen Eingriff in die Natur und Evolution dar – und die langfristigen Folgen sind bisher nicht überschaubar.
Nur noch eine Frage der Zeit?
„So vielversprechend die Forschungsresultate und möglichen Anwendungen auch sind, verlangen sie eine tiefgreifende gesellschaftliche Diskussion darüber, zu welchen Zwecken diese Technologie angewandt werden darf, und damit verbunden, wie Missbräuche verhindert werden können“, betont deshalb auch Beat Christen. Doch so gruselig die Vorstellung von solchen „Frankenstein“-Mikroben manchen von uns erscheinen mag – ihre Erschaffung ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1818259116)
Quelle: ETH Zurich