Opfergaben im See: An einem Riff mitten im Titicacasee haben Archäologen hunderte von Opfergaben der Tihuanaco-Kultur entdeckt – der Vorgänger der Inkas. Unter den Funden sind Goldornamente und goldene Götterbilder, aber auch eine Pumafigur aus Lapislazuli und unzählige Weihrauchgefäße. Der Ritualort mitten im See spricht dafür, dass aufwendige religiöse Zeremonien eine wichtige Rolle für die Tihuanaco spielten, wie die Forscher berichten.
Der Titicacasee und die ihn umgebende Senke waren schon vor Jahrtausenden ein wichtiges Zentrum präkolumbianischer Kulturen. Zwischen 500 und 1100 nach Christus lag hier das Zentrum der Tihuanaco-Kultur, einer Zivilisation, die das gesamte Tal umfasste und die als einer der wichtigsten Vorgänger der Inka-Kultur gilt. Tatsächlich wurde der Inka-Legende nach auf der Sonneninsel im Titicacasee der erste Inka Manco Capac geboren.
Ausgrabungen am Grund des Titicacasees
Von der großen Bedeutung des Sees als Heiligtum für die Inkas und ihrer Vorgänger-Kulturen zeugen die Ruinen eines Zeremonialkomplex, der zur Inkazeit vom Seeufer bis zur Insel der Sonne reichte. Bei Tauchgängen in den 1970er Jahren entdeckten japanische Amateurtaucher nordwestlich der Sonneninsel zahlreiche Opfergaben und Artefakte am Seegrund. Ein Großteil dieser Funde stammte von den Inkas, es waren aber auch ältere Fundstücke darunter, deren genaue Herkunft zunächst unklar blieb.
Stammten diese Fundstücke von den Tihuanaco? Um dies zu klären, haben nun Unterwasserarchäologen um Christophe Delaere von der University of Oxford neue Tauchgänge zum Seegrund vor der Insel der Sonne durchgeführt. An drei Stellen des sogenannten Khoa-Riffs suchten sie mittels Ausgrabungen im Sediment gezielt nach möglichen Opfergaben dieser Prä-Inka-Kultur.
Goldener Schmuck, Götterbilder und Lamaknochen
Mit Erfolg: Mehrere Meter unter dem Seegrund stießen die Forscher auf eine weitgehend unberührte Ansammlung von Opfergaben. Datierungen nach stammten sie von der Tihuanaco-Kultur. „In den Ablagerungen haben wir mehrere Goldornamente gefunden, darunter einen massiven rechteckigen Brustschmuck, einen weiteren mit Fischgravuren, ein 30 Zentimeter langes Goldband und zahlreiche Goldblätter“, berichten Delaere und sein Team.
Außerdem fanden die Archäologen hunderte Scherben von Weihrauch-Behältern, eine Puma-Figur aus Lapislazuli und einen Türkis-Anhänger. Einige Goldmedaillons zeigten das Portrait eines Tihuanaco-Sonnengotts mit Strahlenkranz um das Gesicht. Neben diesen Fundstücken aus Keramik und Metall stießen sie zudem auf zahlreiche Knochen von Lamas – offenbar Tieren, die zu Ehren der Götter hier mitten im See geopfert worden waren.
Opferzeremonie per Boot
Nach Ansicht der Archäologen bestätigen die Funde, dass der Titicacasee und insbesondere sein Zentrum schon für die Menschen der Tihuanaco-Kultur ein heiliger Ort war. „Offenbar wurden während der Tihuanaco-Periode mehrfach aufwendige Opferzeremonien in der Seemitte durchgeführt“, sagen die Forscher. „Die Bewohner der umliegenden Ortschaften konnten diese Rituale vom Ufer aus mitverfolgen.“
Wahrscheinlich wurden die Opfergaben – Gold, geschmückte Lamas und mit Weihrauch gefüllte Räuchergefäße – von den Priestern per Boot in die Seemitte gebracht und dort auf rituelle Weise versenkt. Darauf deuten unter anderem steinerne Anker hin, die die Forscher zwischen den Opfergaben im Seegrund gefunden haben. „Diese Opferstätten waren schwer erreichbar, aber weithin sichtbar – das machte sie zu einem privilegierten und exklusiven Ort der religiösen Interaktion“, sagen Delaere und seine Kollegen.
Rituale als sozialer Kitt
Die aufwendigen Zeremonien mitten im See könnten für das wachsende Reich der Tihuanaco-Kultur ein wichtiger Kitt gewesen sein, wie die Archäologen erklären. Denn starke, strafende Gottheiten spielen gängiger Theorie nach vor allem in komplexen Gesellschaften eine wichtige Rolle als verbindendes religiös-soziales Element. „Je größer die Population, desto wichtiger wurden moralisierende Götter und damit auch aufwendige Rituale“, so Delaere und seine Kollegen.
Im Falle der Tihuanaco-Kultur sollten die Opferzeremonien im Titicacasee die Götter besänftigen und die Vormachtstellung der Priester und Eliten festigen, wie die Forscher erklären. Das gemeinsame Betrachten dieses Schauspiels stärkte gleichzeitig bei den Menschen am Seeufer das Gefühl der Zusammengehörigkeit. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1820749116)
Quelle: PNAS