Auch wenn es manchmal so scheint: Bei der Erzeugung superschwerer Elemente geht es nicht nur um immer größere, schwerere Atomkerne und den Ruhm einer Neuentdeckung. Für Chemiker steckt dahinter auch eine ganz fundamentale Frage: Bleibt das Periodensystem auch bei den superschweren Elementen periodisch und geordnet?
Bisher folgen die Elemente im Periodensystem einer ganz bestimmten Ordnung: Innerhalb der Perioden – der Zeilen – nimmt die Besetzung ihrer äußeren Elektronenschalen jeweils um ein Elektron zu. Die Position innerhalb der Spalten verrät, welche Orbitale vorhanden und von Elektronen bevölkert sind. Weil die Zahl der Elektronen und Schalen das chemische Verhalten der Elemente bestimmt, lässt sich an der Position eines Elements in der Tabelle ablesen, wie es mit anderen Elementen reagieren wird.
Ausreißer und „Langweiler“
Doch gerade bei den superschweren Elementen scheint dieses eherne Prinzip aufzuweichen. So müsste sich Rutherfordium (104) eigentlich ähnlich verhalten wie das direkt über ihm stehende Schwermetall Hafnium (72). Stattdessen jedoch zeigt dieses Element enge Verwandtschaft zum Plutonium – einem Actinoid und damit einem zu einer ganz anderen Gruppe gehörenden Element. Ähnlich unorthodox reagiert Dubnium (105), das sich nicht am darüberstehenden Tantal, sondern eher am Proactinium (91) orientiert.
Merkwürdig nur: Diese Abweichungen vom erwarteten Verhalten zeigen keineswegs alle superschweren Elemente. Seaborgium (106) beispielsweise nutzt ebenso wie seine leichteren „Geschwister“ Molybdän und Wolfram sechs Außenelektronen, um Bindungen einzugehen. Hassium (108) hat in Experimenten vier Sauerstoffatome gebunden – ganz so wie das über ihm stehende Osmium. Und auch das Bohrium (107) reagiert völlig normal. Forscher titelten einen Aufsatz über dieses Element daher schon scherzhaft mit „Boring Bohrium“ – langweiliges Bohrium.
Können die Superschweren das Rätsel lösen?
Warum einige der „Superheavies“ gegen die Ordnung verstoßen und andere nicht, ist bislang rätselhaft. Wären nur relativistische Effekte daran schuld, müsste die „Unordnung“ mit steigender Ordnungszahl relativ regelmäßig zunehmen. Das aber scheint nicht der Fall zu sein. Umso gespannter sind die Wissenschaftler nun darauf, wie sich die jüngsten Neuzugänge im Periodensystem in dieses Muster einfügen: Werden sie Langweiler oder Ausreißer sein?
Das Problem jedoch: Die Elemente ab der Ordnungszahl 113 können nur atomweise produziert werden und sind extrem kurzlebig. Deshalb kann man sie nicht einfach in ein Reagenzglas schütten und schauen, welche chemischen Reaktionen sie zeigen. Forscher müssen daher zu anderen Tricks greifen, um die Natur der kurzlebigen Schwergewichte zu ergründen.
Am GSI in Darmstadt beispielsweise schicken die Kernphysiker frisch erzeugte Atome des Fleroviums (114) durch einen engen Kanal mit goldbeschichteten Wänden. Mit Hilfe eines Detektors beobachten sie dann, ob und wann sich das Flerovium an die Goldoberfläche anlagert. Tut es dies gar nicht oder sehr weit hinten im Goldkanal, ist es eher reaktionsträge wie ein Edelgas. Lagert es sich dagegen schon weiter vorne an, ähnelt es in seiner Reaktivität eher Schwermetallen. Bisher allerdings liefern diese Experimente widersprüchliche Daten.
Der Exot
Rätselhaft ist auch das schwerste bisher bekannte Element Oganesson. Denn kernphysikalische Berechnungen und Modelle legen nahe, dass bei ihm sowohl die Elektronen in der Hülle als auch die Nukleonen im Kern eine diffuse, ungeordnete Struktur bilden. Dieser quantenphysikalische Zustand ähnelt eher einem diffusen Gas als der sonst üblichen Schalenstruktur.
Was diese exotische Struktur für das Verhalten dieses Elements bedeutet, ist noch unklar. Physiker vermuten aber bereits, dass Oganesson möglicherweise weniger reaktionsträge ist als seine leichteren „Geschwister“ in der Edelgasgruppe. Zudem könnte dieser superschwere Exot bei Raumtemperatur fest sein statt gasförmig – auch das eine Abweichung vom typischen Edelgasverhalten.
Ob das Oganesson nur ein Sonderfall ist oder ob sein diffuses Innenleben ein Vorschmack auf die nachfolgenden, noch unentdeckten Elemente sein könnte, bleibt vorerst offen. Ebenso strittig ist, ob und wie die Ordnung des Periodensystems im Reich der Superschwergewichte bestehen bleibt. Doch genau diese Fragen sind es, die viele der Elementjäger heute antreiben.