Medizin

Wie die Pest aus Europa verschwand

Forscher rekonstruieren Verlauf und Eindämmung der letzten Pest-Epidemie auf unserem Kontinent

Pest
Yersinia pestis-Bakterien - die Erreger der Pest. © CDC/ Larry Stauffer

Nachfolger des „Schwarzen Todes“ im Blick: Für die dritte Pest-Pandemie in Europa war maßgeblich der Handel über den Seeweg verantwortlich. Über Schiffe aus entfernten Kolonien wurde der Yersinia pestis-Erreger ab dem Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder auf unseren Kontinent eingeschleppt, wie eine Analyse belegt. Dank des rigorosen Durchgreifens der Behörden und verbesserten Hygienebedingungen forderte die Pest damals trotzdem vergleichsweise wenige Todesopfer – und konnte schließlich ganz aus Europa verbannt werden.

Die Pest hat im Laufe der Geschichte immer wieder verheerende Seuchen ausgelöst – auch in Europa. Im 6. Jahrhundert wütete die sogenannte Justinianische Pest und im Mittelalter ging der Yersinia pestis-Erreger als der „Schwarze Tod“ auf unserem Kontinent um. Auch während der dritten großen Pest-Pandemie, die Ende des 19. Jahrhunderts in China ihren Anfang nahm, wurden die Europäer nicht verschont.

Im Vergleich zu vorherigen Pandemien kostete der Erreger damals allerdings deutlich weniger Menschen das Leben, setzte sich anders als in anderen betroffenen Kontinenten nicht langfristig fest und verschwand schließlich sogar für immer. Doch warum? Dieser in der Forschung bisher kaum beachteten Frage haben sich nun Barbara Bramanti von der Universität Oslo und ihre Kollegen gewidmet.

Tote Seemänner auf der Themse

Möglich wurde dies, weil die offiziellen Fallberichte der Behörden aus dieser Zeit inzwischen digitalisiert wurden. Zusätzlich zu diesen Dokumenten aus dem Zeitraum zwischen 1879 und 1950 werteten die Wissenschaftler weitere Schilderungen und wissenschaftliche Publikationen zum Thema aus, um ein genaueres Bild über dieses letztmalige Auftauchen der Pest in Europa zu erlangen.

Wie sie berichten, hatte die dritte Pest-Pandemie in der südwestchinesischen Provinz Yunnan ihren Ursprung, wo es bereits seit 1772 wiederholt zu Ausbrüchen kam. Ab Ende des 19. Jahrhunderts breitete sich die Krankheit von dort weltweit aus – und erreichte im Herbst 1896 erstmals Europa. Zwei Seemänner aus Bombay starben damals auf ihren Schiffen auf der Themse in London.

Mit Schiffen eingeschleppt

Die europäischen Entscheidungsträger reagierten prompt auf diese Entwicklungen. Sensibilisiert durch frühere Krankheitsausbrüche, beispielsweise der Cholera, hielten sie in Venedig eine internationale Konferenz ab, um die Ausbreitung der Pest zu besprechen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dies führte auch dazu, dass Pestfälle ab 1899 penibel registriert und detailliert dokumentiert wurden.

Diesen Aufzeichnungen zufolge kam es zwischen 1899 und 1947 zu insgesamt 1.692 Krankheitsfällen und 457 Pesttoten in Europa. Die Hochphase mit den meisten Fällen dauerte dabei bis 1920 an, am häufigsten tauchte die Pest in Küstenregionen und in Städten mit Binnenhafen auf. „Die Berichte belegen, dass die Pest immer wieder durch Schiffe aus dem Ausland in europäische Häfen eingeschleppt wurde, häufig aus ehemaligen Kolonien wie Bombay, Buenos Aires oder Alexandria“, erklärt das Team.

Die Rolle der Ratten

Den Behörden war die Rolle des maritimen Handels offenbar bewusst, wie die Forscher berichten. Denn sie kontrollierten systematisch ankommende Schiffe und suchten nach Hinweisen auf Pesterreger an Bord. Außerdem sorgten sie dafür, dass Patienten isoliert wurden und verboten größere Versammlungen, um einer Ausbreitung der Erkrankung entgegenzuwirken. Es ist wohl maßgeblich diesem Durchgreifen zu verdanken, dass die dritte Pest-Pandemie auf unserem Kontinent nur zu kleineren Ausbrüchen führte.

Wie aber wurde das Yersinia pestis-Bakterium damals überhaupt übertragen? Mediziner und Wissenschaftler hatten den Erreger schon im 19. Jahrhundert als Verursacher der Pest identifiziert und eine Verbindung zwischen der Krankheit beim Menschen und Ratten hergestellt. Die Nager und ihre Flöhe waren während der dritten Pest-Pandemie in Europa somit besonders im Visier der Behörden. Untersuchungen konnten die Tiere in vielen Fällen allerdings nicht eindeutig als Überträger identifizieren.

Die letzten Krankheitsfälle

„Insgesamt scheint die Verbindung zwischen Nagern und der menschlichen Pest während der dritten Pandemie in Europa weniger klar zu sein als in Ausbruchsregionen wie Indien oder China“, berichten Bramanti und ihre Kollegen. Stattdessen könnten ihnen zufolge auch Menschenflöhe oder Kleiderläuse zur Verbreitung der Pest beigetragen haben.

Während der Hauptübertragungsweg im Dunkeln bleibt, ist eines jedoch sicher: In den 1940er Jahren tauchte die Pest zum vorerst letzten Mal in Europa auf – sie gilt seither bei uns als ausgerottet. Zu dieser erfreulichen Entwicklung trugen im Wesentlichen zwei Faktoren bei, wie die Wissenschaftler erklären.

Bessere Hygiene und kein Reservoir

Zum einen ist das die verbesserte Hygiene. Die Erkenntnis, dass für viele Krankheiten Keime verantwortlich sind, deren Verbreitung sich mit gezielten Maßnahmen eindämmen lässt, führte in Europa ab dem 19. Jahrhundert zu einer deutlichen Optimierung der sanitären Bedingungen. Später sorgte zudem die Einführung von Insektiziden wie DDT dafür, dass mögliche Erregerüberträger erfolgreich eliminiert werden konnten.

Der zweite Grund: Der Pesterreger hat offenbar kein dauerhaftes Reservoir in einem bei uns heimischen Tier gefunden. „Es gibt keinen Beleg dafür, dass die Pest in Europa endemisch ist oder es im Laufe der dritten Pandemie jemals war“, schreibt das Team. „Dies ist die fundamentale Ursache dafür, dass die Pest heute keine Gesundheitsbedrohung mehr auf dem Kontinent darstellt.“

Noch immer eine Bedrohung

In anderen Regionen der Welt haben sich während der dritten Pest-Pandemie dagegen neue Erregerreservoire gebildet, wie Bramanti und ihre Kollegen berichten. So findet sich Yersinia pestis heute unter anderem in Präriehunden in den USA sowie in Nagetieren in Südamerika und Afrika. „Die Pest kommt heute weltweit in elf Ländern vor und bricht immer wieder aus“, erklären die Forscher.

In jüngerer Vergangenheit kam es etwa zu Ausbrüchen in Madagaskar, aber auch in Libyen und Algerien – Staaten, die nicht allzu weit von europäischen Grenzen entfernt liegen, wie das Team betont. „In Zeiten der Globalisierung können sich Krankheiten wie die Pest schnell wieder über die ganze Welt verbreiten. Gerade die Industrienationen müssen auf Ausbrüche daher rasch reagieren, um beim Kampf gegen Infektionskrankheiten zu helfen“, so ihr Fazit. (Proceedings of the Royal Society B, 2019; doi: 10.1098/rspb.2018.2429)

Quelle: Royal Society

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