Biologischer Computer: Forscher haben menschliche Zellen durch zwei Prozessoren ergänzt – biologische Konstrukte, die wie logische Schaltkreise arbeiten. Sie bestehen aus einem modifizierten CRISPR/Cas9-System und könnten beispielsweise medizinischen Nutzen haben: Detektieren sie bestimmte Krankheitsmarker, veranlassen sie die Zelle zur Produktion eines therapeutischen Wirkstoffs. Nach Ansicht der Wissenschaftler haben solche Biocomputer daher ein enormes Potenzial.
Zellen sind die Grundeinheit allen Lebens und echte Multifunktions-Maschinen. Denn mittels DNA, RNA und Proteinen können sie unzählige Aufgaben erfüllen. Wie ein Computer reagieren sie dabei auf Eingaben und stoßen Prozesse an, die den gewünschten Output liefern. Forscher versuchen inzwischen, sich diese Miniatur-Maschinen durch DNA-Manipulation, eingeschleuste synthetische Bauteile oder sogar komplett künstliche Zellen zu Nutze zu machen.
Ein Ansatz ist es, den Zellen molekulare Implantate einzusetzen, die wie biologische Computerschaltkreise arbeiten. Vor ein paar Jahren konstruierten Forscher dafür einen „Rechenkern“, der sich immer dann einschaltet, wenn sein Sensor die Präsenz zweier Entzündungsbotenstoffe in der Zelle detektiert. Nur dann wird ein miteingeschleustes Gen aktiv, das die Zelle dazu bringt, die Entzündung zu bekämpfen – das Implantat arbeitet damit wie ein logisches UND-Gatter.
„Dual-Core“ in der Zelle
Einen Schritt weiter sind nun Forscher um Martin Fussenegger von der ETH Zürich gegangen. Sie haben menschlichen Zellen erstmals gleich zwei solcher biologischer „Prozessoren“ eingepflanzt. Möglich wurde dies mithilfe einer modifizierten Version der Genschere CRISPR/Cas9. „Damit haben wir den ersten Zellcomputer mit mehr als einem Rechnerkern geschaffen“, sagt Fussenegger.
Der große Vorteil: Dieses „Dual-Core“-System kann Operationen mit zwei Inputs und zwei Outputs durchführen. Ist nur Botenstoff A als Input vorhanden, dann reagiert der Biocomputer mit der Bildung eines diagnostischen Moleküls oder eines Wirkstoffs. Detektiert der Zellcomputer nur Biomarker B, dann löst er die Bildung eines anderen Wirkstoffs aus. Sind dagegen beide Biomarker vorhanden, dann erzeugt dies eine dritte Reaktion.
Schalter am Erbgut
Konkret bestehen die biologischen „Prozessoren“ aus speziellen Varianten des Cas9-Proteins, das die Forscher aus Bakterien isolierten. Diese lagern sich an bestimmte Genabschnitte des Zellkerns an und agieren so als steuerbare Genschalter. Im Aus-Zustand blockieren sie das Ablesen des Gens. Erhalten sie nun eine Eingabe in Form einer passenden RNA, aktivieren sie die Transkription und die Zelle beginnt, das gewünschte Protein zu produzieren.
Angewendet werden könnte dies in der Medizin, zum Beispiel zur Behandlung von Krebs. „Wir könnten zudem Rückkopplungen einbauen“, sagt Fussenegger. Ist beispielsweise Biomarker B über längere Zeit in erhöhter Dosis im Körper vorhanden, dann könnte das auf die Bildung von Krebsmetastasen hindeuten. Der Biocomputer würde dann einen Wirkstoff bilden, der speziell diese bekämpft.
Erster Schritt zu Biocomputern
Digital gesehen agieren diese biologischen Rechnerkerne damit wie sogenannte Halbaddierer – eine Verschaltung von UND-Gattern und ODER-Gattern. Sie bestehen aus zwei Eingängen und zwei Ausgängen und können zwei einstellige Binärzahlen addieren. „In der Elektronik sind Addierer die Hauptbestandteile von logischen Schaltkreisen und damit von Prozessoren“, erklären die Forscher. „Solche Schaltkreise in biologische Systeme zu integrieren, ist ein signifikanter Schritt hin zu Biocomputer-Systemen.“
Wie die Forscher erklären, sind diese Biocomputer nicht nur extrem klein, sondern im Prinzip auch beliebig skalierbar. „Man stelle sich ein Mikrogewebe mit mehreren Milliarden Zellen vor und jede davon verfügt über einen Dual-Core-Prozessor“, sagt Fussenegger. „Solche ‚Rechenorgane‘ könnten eine theoretische Rechenkapazität erreichen, die diejenige eines digitalen Supercomputers bei weitem übertrifft – und das mit einem Bruchteil der Energie.“
Allerdings: „Ganz so revolutionär, wie sich dieser Zellcomputer anhört, ist die Sache nicht“, betont Fussenegger. „Unser menschlicher Körper ist bereits ein einziger Großcomputer. Der Stoffwechsel des Körpers beruht seit jeher auf Rechenleistungen von Billionen von Zellen.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019: doi: 10.1073/pnas.1821740116)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)