Gepanzerte Beute: Schimpansen machen offenbar auch Jagd auf Schildkröten. Dieses bisher unbekannte Verhalten haben Forscher nun erstmals bei einer Gruppe aus Gabun beobachtet. Demnach wenden die Menschenaffen eine gezielte Schlagtechnik an, um den Panzer ihrer Beute zu knacken und an das schmackhafte Fleisch im Inneren zu gelangen. Wahrscheinlich muss diese raffinierte Methode von Jungtieren lange geübt und trainiert werden, wie das Team vermutet.
Schimpansen haben einen abwechslungsreichen Speiseplan. Das Nahrungsspektrum unserer engsten Verwandten reicht dabei von Früchten und Blättern bis hin zu Samen und Honig. Auch Fleisch fressen sie hin und wieder. Um an begehrte Leckereien zu gelangen, haben die Menschenaffen dabei raffinierte Strategien auf Lager. So brechen sie Termitenhügel mit Stöcken auf, knacken Nüsse mit Steinen oder treiben Buschschweine und Waldantilopen in Gruppenarbeit in die Enge.
Zum ersten Mal beobachtet
Nun haben Simone Pika von der Universität Osnabrück und ihre Kollegen Schimpansen bei einer weiteren interessanten Nahrungsbeschaffungsaktion beobachtet: der Jagd auf Schildkröten. „Obwohl es bereits einige indirekte Hinweise darauf gab, dass Schimpansen möglicherweise auch Schildkröten jagen, wurde dieses Verhalten noch nie zuvor direkt dokumentiert“, erklären sie.
Gelungen ist dies den Wissenschaftlern nun bei Schimpansen der sogenannten Rekambo-Gruppe im Loango Nationalpark in Gabun. Bei ihrem Forschungsbesuch zwischen Juli 2016 und Mai 2018 beobachteten sie, dass die Mehrheit der männlichen Gruppenmitglieder in der Trockenzeit regelmäßig Stachelrand-Gelenkschildkröten (Kinixys erosa) nachstellte. Gelegentlich erbeuteten auch Weibchen ein Reptil. Die Schildkröten schienen ein fester Bestandteil des Speiseplans zu sein.
Geschicktes Panzerknacken
Wie die Forscher berichten, gingen die Tiere dabei meist nach demselben Muster vor: Hatten sie eine Schildkröte entdeckt, schnappten sie sie sich und machten sich dann ans Öffnen des Panzers. Dafür schlugen sie die schützende Schale am Bauch der Schildkröte immer wieder mit einer Hand gegen eine harte Oberfläche, oftmals einen Baumstamm. Anschließend kletterten die Affen mit ihrer aufgeknackten Beute auf einen Baum und genossen die Mahlzeit.
„Manchmal konnten jüngere Tiere oder Weibchen die Schildkröte nicht selber aufbrechen. Sie gaben sie dann für gewöhnlich an ein stärkeres Männchen weiter, welches den Schildkrötenpanzer aufschlug und das Fleisch mit allen anderen anwesenden Schimpansen teilte“, berichtet Pika.
Vorausschauende Futterlagerung?
„Diese Beobachtungen erweitern unser Verständnis des Ernährungs- und Jagdrepertoires von Schimpansen und zeigen, dass sie auch Reptilien fressen“, konstatieren Pika und ihr Team. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Öffnen des Schildkrötenpanzers viel Erfahrung erfordert: „Ähnlich wie das Nussknacken, das Schimpansen erst im Alter von neun bis zehn Jahren beherrschen, könnte das erfolgreiche Schildkrötenzerschlagen eine Technik sein, bei der es auf eine gewisse Kraft ankommt. Außerdem benötigen die Tiere wahrscheinlich relativ lange, um die Methode zu erlernen, zu trainieren und schließlich zu verfeinern“, erklären sie.
Doch die Tatsache, dass die Menschenaffen Schildkröten fangen und knacken, war nicht die einzige spannende Entdeckung. In einem Fall beobachtete das Forscherteam, wie ein Schimpanse eine halbgefressene Schildkröte in eine Astgabel legte und verschwand. Erst am nächsten Tag kehrte das Tier zurück, um den Rest zu verzehren.
Faszinierende Fähigkeiten
Das Besondere daran: Dieses Verhalten deutet darauf hin, dass der Schimpanse vorausschauend gehandelt hat. Er plante Futter für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt ein. Diese komplexe kognitive Fähigkeit galt lange Zeit als einzigartig für den Menschen. Doch schon bei der Auswahl von Werkzeug haben Schimpansen jüngst bewiesen, dass sie durchaus zu vorausschauendem Denken und Handeln fähig sind. „Unsere Arbeit liefert damit einen weiteren Beleg für die erstaunliche kognitive Leistungsfähigkeit dieser Menschenaffen“, so die Wissenschaftler.
„Das Verhalten freilebender Schimpansen wird nun seit über 50 Jahren in mehr als zehn Langzeit-Feldforschungsstätten über das gesamte tropische Afrika hinweg untersucht. Es ist faszinierend, dass wir trotzdem immer wieder ganz neue Verhaltensweisen und -facetten dieser Art entdecken, sobald wir eine neue Population zu erforschen beginnen“, schließt Mitautor Tobias Deschner vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-43301-8)
Quelle: Nature Press/ Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie