Medizin

Musik hilft Frühchen-Gehirn

Angenehme Beschallung stärkt funktionelle Verknüpfung wichtiger Hirnregionen

Frühchen
Frühgeborene könnten von der Beschallung mit Musik profitieren. © Photodisc-rbma/ iStock.com

Musikalische Therapie: Musik könnte die neuronale Entwicklung von Frühgeborenen fördern. Wie eine Studie offenbart, wirkt sich die regelmäßige Beschallung mit angenehmer Hintergrundmusik positiv auf die funktionelle Verknüpfung wichtiger Hirnregionen aus. Als Folge gleicht das Gehirn der Frühchen mehr dem von reif geborenen Kindern. Damit kann Musik womöglich einige Defizite ausgleichen, die durch die Unreife bei der Geburt und die stressige Umgebung auf der Frühchen-Station entstehen.

Wenn Babys mehrere Wochen zu früh das Licht der Welt erblicken, ist ihr Körper auf das Leben da draußen noch nicht vorbereitet: Frühchen wirken kleiner und zerbrechlicher als Normalgeborene und können oftmals nicht selbständig atmen oder trinken. Auch ihr Gehirn ist in der Regel noch unreif. Diese Defizite zum Geburtszeitpunkt wirken auch im späteren Leben der Kinder nach. Studien zeigen, dass Frühgeborene anfälliger für bestimmte Krankheiten sind, häufiger bei der motorischen Entwicklung hinterherhinken und beim Lernen in der Schule langsamer sind als Gleichaltrige.

Womöglich spielt für diesen Entwicklungsnachteil auch die stressige und laute Umgebung der Frühchen-Station im Krankenhaus eine Rolle, wie Studien nahelegen: „Die Unreife des Gehirns in Kombination mit störenden sensorischen Reizen könnte erklären, warum sich die neuronalen Netzwerke vieler Frühgeborener nicht normal entwickeln“, konstatiert Petra Hüppi vom Universitätsklinikum Genf.

Die Musik stärkt offenbar funktionelle Verknüpfungen im Gehirn von Frühchen. © Djalel-Eddine Meskaldji

Musik auf der Frühchen-Station

Aus diesem Grund haben die Medizinerin und ihre Kollegen um Erstautorin Lara Lordier nach Möglichkeiten gesucht, den störenden Einfluss zu kompensieren: durch Reize, die für die Babys angenehm sind und Struktur in ihren Alltag bringen. Zu diesem Zweck entwarf ein Komponist extra eine Reihe von Musikstücken mit Instrumenten wie Harfe und Flöte, die auf Neugeborene nachweislich entspannend wirken.

Die Forscher wählten schließlich drei Kompositionen für unterschiedliche Tageszeiten aus. „Entscheidend war, dass die musikalischen Stimuli der Situation der Babys entsprachen. Wir wollten den Tag mithilfe dieser Reize strukturieren: mit einer Musik zum Aufwachen, einer Musik zum Einschlafen und einer Musik für die Wachphasen“, erklärt Lordier.

Einfluss auf das Gehirn?

Im Test mit 39 Frühgeborenen bekam ein Teil der kleinen Probanden fünfmal pro Woche für jeweils acht Minuten Hintergrundmusik auf die Ohren. Die Krankenschwestern setzten den Babys dafür Kopfhörer auf, wenn diese im Bett lagen und wach waren, bereits schlafende Kinder sollten dagegen nicht gestört werden. Die Kontrollgruppe bekam ebenfalls regelmäßig Kopfhörer aufgesetzt. Diese Babys hörten dabei jedoch keine Musik und waren weiterhin mit der Geräuschkulisse der Station konfrontiert.

Zum Zeitpunkt der Entlassung von der Frühchen-Station oder beim Erreichen des errechneten Geburtstermins untersuchten die Wissenschaftler, ob sich die musikalische Beschallung positiv auf die neuronale Entwicklung der Babys ausgewirkt hatte. Zudem verglichen sie die Ergebnisse mit Daten von 24 nach normaler Schwangerschaftsdauer geborenen Kindern.

Salienz-Netzwerk im Fokus

Die Analysen mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) ergaben: Ohne Musik betreute Frühgeborene wiesen eine deutlich geringere, funktionelle Verknüpfung zwischen einzelnen Hirnregionen auf als Reifgeborene – die negativen Folgen für die Hirnentwicklung waren damit bestätigt.

„Am stärksten betroffen war das Salienz-Netzwerk. Es beurteilt eingehende Reize nach ihrer Relevanz und steht in enger Verbindung mit zahlreichen anderen Netzwerken des Gehirns“, erklärt Lordier. Dieses Netzwerk sei wichtig für eine Vielzahl von Aufgaben – ob bei Lernprozessen oder im sozialen Miteinander.

Besser verknüpft

Bei den Frühgeborenen aus der Musikgruppe zeigte sich dagegen ein anderes Bild: Bei ihnen war die funktionelle Verknüpfung zwischen dem Salienz-Netzwerk und anderen wichtigen Regionen signifikant besser ausgeprägt – unter anderem die Verbindung zum Thalamus, zum auditorischen und sensomotorischen Netzwerk sowie zum sogenannten Precuneus – einem Bereich, der am Default- Mode-Netzwerk und bestimmten Aufmerksamkeitsnetzwerken beteiligt ist.

Insgesamt glich die funktionelle Gehirnarchitektur der Babys damit mehr der der reif geborenen Kinder, wie die Wissenschaftler berichten. „Dies ist unseres Wissens nach das erste Mal, dass eine Studie den Einfluss von Musik auf das Frühgeborenen-Gehirn untersucht hat“, konstatieren sie.

Nachhaltiger Effekt?

In Zukunft gilt es nun herauszufinden, wie nachhaltig der beobachtete Effekt wirkt. Zu diesem Zweck werden Lordier und ihr Team die kleinen Probanden erneut untersuchen, wenn diese das Schulalter erreichen. Wie gut werden sie dann bei Tests zu kognitiven und sozio-emotionalen Fähigkeiten abschneiden?

Des Weiteren wollen die Forscher auch den Einfluss anderer angenehmer Reize auf der Frühchen-Station unter die Lupe nehmen: Wie wirkt zum Beispiel elterlicher Gesang auf die Kinder? „Es ist mehr Forschung nötig, um Musik mit anderen akustischen Interventionen zu vergleichen“, so ihr Fazit. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1817536116)

Quelle: Universität Genf/ PNAS

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