Biologie

Viermal mehr Pflanzen ausgestorben als gedacht

Artenschwund bei Samenpflanzen liegt 500-fach über der natürlichen Aussterberate

Coco de Mer -Palme
Besonders anfällig für das Aussterben sind endemische Samenpflanzen auf tropischen Inseln, wie hier die Coco de Mer-Palme, die nur auf den Seychellen vorkommt. © MP-foto/ iStock.com

Schleichender Verlust: Fast 600 Arten von Samenpflanzen sind in den letzten 250 Jahren ausgestorben, wie eine neue Studie enthüllt. Im Schnitt gehen demnach jedes Jahr 2,3 Pflanzenarten verloren. Der Artenschwund bei Bäumen, Kräutern und Blumen ist damit viermal größer als in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion erfasst. Besonders gravierend ist dieser Artenschwund, weil Pflanzen die Basis der Nahrungsketten bilden.

Ob Insekten, Feldvögel, wildlebende Säugetiere oder Amphibien: Weltweit schwindet die Artenvielfalt rasant. Erst vor Kurzem zog der UN-Biodiversitätsrat eine alarmierende Bilanz des globalen Artensterbens. Demnach sind inzwischen rund eine Million Spezies akut vom Aussterben bedroht. Ursachen sind vor allem der Verlust des Lebensraums oder der Nahrungsgrundlage durch den Einfluss des Menschen, aber auch Klimawandel und Umweltverschmutzung.

Wenig beachtet und kaum prominent

Doch während Schmetterlinge, Bienen, Panda und Co prominente Opfer des Artenschwunds sind, findet das Artensterben im Pflanzenreich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. „Die meisten Menschen können ein Säugetier oder einen Vogel nennen, der in den letzten Jahrhunderten ausgestorben ist, aber nur wenige können eine jüngst verschwundene Pflanze benennen“, sagen Aelys Humphreys von den Royal Botanic Gardens in Kew und ihre Kollegen.

Und auch in der Wissenschaft klaffen Lücken: Nach Schätzungen von Botanikern sind weniger als zehn Prozent aller Blütenpflanzen gut untersucht – meist Bäume und mehrjährige Blütenpflanzen. Entsprechend unvollständig sind auch die Daten zum Artenschwund in der Pflanzenwelt. Um diesen zu erfassen, haben Humphreys und ihr Team nun eine der größten Datensammlungen zu Samenpflanzen und ihrem Vorkommen ausgewertet. Auf Basis dieser Daten ermittelten sie, wie viele und welche Pflanzenarten in den letzten 250 Jahren ausgestorben sind.

2,3 Pflanzenarten verschwinden pro Jahr

Das Ergebnis: „Wir dokumentieren insgesamt 571 Fälle von in der neueren Zeit ausgestorbenen Spezies“, berichten die Forscher. In den letzten rund 250 Jahren sind damit im Schnitt 2,3 Pflanzenarten pro Jahr ausgestorben – deutlich mehr als bislang angenommen. Denn der neu ermittelte Artenverlust bei den Samenpflanzen ist viermal so hoch wie bisher in der Roten Liste der der Weltnaturschutzunion (IUCN) erfasst.

Der Einfluss des Menschen hat demnach auch bei den Pflanzen den Artenschwund deutlich beschleunigt. „Unseren Schätzungen zufolge ist die Aussterberate bis zu 500 Mal höher als die natürliche Hintergrundrate für den Artenaustausch der Pflanzen in der Evolution“, so Humphreys und ihr Team. Die Aussterberate der Pflanzen liegt damit leicht unter bisherigen Schätzungen und auch unter dem Artenschwund bei vielen Tieren.

Inseln und Tropen besonders betroffen

Besonders vom Artenschwund betroffen sind Samenpflanzen in den Tropen und auf Inseln, wie die Forscher feststellten: „Alle Top-Aussterbe-Gebiete sind Gebiete mit hoher Artenvielfalt und einem tropischen oder mediterranem Klima „, berichten sie. Nahezu 50 Prozent der ausgestorbenen Arten waren auf Inseln heimisch. „Das reflektiert wahrscheinlich den hohen Anteil von einzigartigen, endemischen Arten in Inselbiotopen und ihre große Anfälligkeit gegenüber biologischer Invasion“, so Humphreys und ihr Team. Viele ausgestorbene Pflanzenarten hatten zudem nur ein relativ enges Verbreitungsgebiet.

Im Gegensatz zu gefährdeten und ausgestorben Spezies in der Tierwelt scheint es bei den Samenpflanzen aber alle Familien gleichermaßen stark zu treffen: Die Wissenschaftler konnten keine Häufung des Aussterbens in bestimmten phylogenetischen Gruppen feststellen. Zwar gehören die meisten ausgestorbenen Arten zu den Bäumen und verholzten Mehrjährigen, dies geht aber eher auf eine überproportional gute Erfassung dieser Gruppen bei Erhebungen zurück als auf die reale Verteilung, wie die Forscher erklären.

„Grundlage für alles Leben“

Zusammenfassend bestätigen die neuen Daten, dass der Artenschwund der Neuzeit auch vor dem Pflanzenreich nicht haltmacht. Das aber bedeutet, dass auch die Basis vieler Nahrungsnetze schwindet. „Pflanzen bilden die Grundlage für alles Leben auf der Erde: Sie liefern den Sauerstoff, den wir atmen, und die Nahrung, die wir essen, und bilden das Rückgrat der irdischen Ökosysteme“, betont Co-Autor Eimear Lughadha von den Royal Botanical Gardens. „Wenn sie aussterben, sind dies daher schlechte Nachrichten für alle Spezies.“ (Nature Ecology & Evolution, 2019; doi: 10.1038/s41559-019-0906-2)

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