Karambolage der Superlative: Erstmals ist es Astronomen gelungen, zwei Galaxienhaufen in der Anfangsphase ihrer Kollision zu beobachten – einem der dramatischsten Ereignisse des Kosmos. Die Schockwelle der Kollision erzeugt eine Brücke aus komprimiertem, auf 100 Millionen Grad aufgeheiztem Gas, wie Beobachtungen mit Röntgenteleskopen zeigen. Es ist das erste Mal, dass Forscher Zeugen dieses ersten Kontakts zweier verschmelzender Galaxienhaufen wurden, wie die Astronomen im Fachmagazin „Nature Astronomy“ berichten.
Galaxienhaufen sind die größten Strukturen des Kosmos. Sie umfassen hunderte bis tausende von Galaxien, die durch Schwerkraftwechselwirkungen aneinander gebunden sind, und können eine Masse von mehreren Billiarden Sonnenmassen erreichen. Gängiger Theorie nach benötigen diese Giganten mehrere Milliarden Jahre um durch Kollision mit benachbarten Galaxien und Galaxienhaufen zu ihrer enormen Größe heranzuwachsen.
Kosmische Energieschleudern
„Kollisionen zwischen Galaxienhaufen sind die energiereichsten Ereignisse im Universum seit dem Urknall“, erklärt Erstautor Liyi Gu vom RIKEN Laboratorium für Hochenergie-Astrophysik in Japan. „Die Schockwellen, die bei einer solchen Verschmelzung entstehen, sind wahrscheinlich die wichtigen Teilchenbeschleuniger im Kosmos. Sie setzen enorme Mengen an Hitze, Strahlung und energiereichen kosmischen Teilchen frei.“
Das Problem jedoch: Bisher stammen die meisten Erkenntnisse zu solchen Kollisionen aus theoretischen Modellen und der Beobachtung von Galaxienhaufen, die bereits kollidiert sind. Denn Astronomen war es bisher nicht gelungen, zwei solcher Giganten sozusagen auf frischer Tat zu ertappen – in der „nur“ rund 100 Millionen Jahre kurzen Phase des ersten Kontakts. In dieser sogenannten Pre-Merger-Phase stoßen zunächst die äußeren Bereiche der Cluster zusammen, bevor ihre Zentren verschmelzen.
Zwei Cluster beim ersten Kontakt
Jetzt hat es endlich geklappt: Gu und sein Team haben zwei Galaxienhaufen aufgespürt, die in dieser entscheidenden Phase der Kollision sind. Die Galaxienhaufen 1E2216 und 1E2215 liegen rund eine Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt und bewegen sich vermutlich schon seit Milliarden Jahren allmählich aufeinander zu. Beobachtungen mit mehreren Röntgenteleskopen darunter XMM-Newton der ESA und Chandra von der NASA belegen nun, dass die Kollision beider Giganten gerade begonnen hat.
„Wir haben unheimliches Glück, dass wir Zeugen dieses ersten Kontakts zwischen den beiden Clustern werden“, sagt Koautor Jelle Kaastra von der Universität Leiden. Die Teleskopaufnahmen zeigen, dass die Zentren der beiden etwa gleichgroßen Galaxienhaufen noch rund zwei Millionen Lichtjahre weit auseinander liegen, ihre Randbereiche aber schon aufeinandergestoßen sind.
Schockwelle aus heißem Gas
In der Kontaktzone zwischen den beiden Galaxienhaufen liegt ein nach außen breiter werdendes Band aus heißen, komprimierten Gasen. „Der Schock der Kollision erzeugte hier eine Region von 100 Millionen Grad heißem Gas“, berichtet Gu. „Diese Schockfront strömt von der Mitte der Kollisionszone entlang der äquatorialen Ebene nach außen.“ Aus ihren Daten ermittelten die Astronomen, dass sich die Schockwelle der Kollision mit Überschallgeschwindigkeit bewegt.
„Diese Beobachtung stimmt mit den theoretischen Modellen überein. Sie sagen voraus, dass die ersten Schockwellen noch vor der Kollision der Clusterkerne auftreten“, sagen die Forscher. Obwohl die Kollision der beiden Cluster damit erst begonnen hat, ist die freigesetzte Energie bereits enorm: „Allein die Schockwelle im Südosten umfasst das Doppelte der kombinierten Röntgenluminosität beider Galaxienhaufen zusammen“, berichten Gu und sein Team. „Der nordwestliche Ausläufer der Schockwelle müsste ähnlich viel kinetische Energie besitzen.“
Wertvolle Einblicke
Die Beobachtung dieser Kollision bietet den Astronomen nun die Chance, wertvolle Einblicke in diese erste Phase der Galaxienhaufen-Verschmelzung zu gewinnen. „Die Entdeckung enthüllt eine wichtige Epoche bei der Bildung massereicher Cluster“, erklären die Forscher. „Denn die dabei erzeugten Schockwellen, zusammen mit späteren axialen Schocks, transportieren einen erheblichen Anteil der kinetischen Energie über die Clustergrenzen hinaus.“ Diese Energie trägt dann dazu bei, das intergalaktische Medium aufzuheizen und zu verändern.
Die Forscher hoffen, mit der nächsten Generation von Röntgenteleskopen noch mehr Details dieser Galaxienhaufen-Kollision sehen zu können. Im Jahr 2021 soll der Röntgensatellit XRISM ins All starten, 2031 das Röntgenobservatorium Athena, dessen Instrumente 100-mal sensitiver sind als die von Chandra oder XMM-Newton. Das gerade gestartete Röntgenteleskop eROSITA könnte bei seiner Kartierung von Galaxienhaufen zudem weitere Beispiele für Cluster in der Pre-Merger-Phase aufspüren helfen. (Nature Astronomy, 2019; doi: 10.1038/s41550-019-0798-8)
Quelle: ESA, RIKEN