Verlorenes Erbe: Unsere Hausschweine stammen ursprünglich von domestizierten Schweinen aus dem Nahen Osten ab. Doch von diesem Erbe ist im Genom der Tiere heute kaum noch etwas zu finden, wie Erbgutanalysen zeigen. Denn nach ihrer Ankunft in Europa vermischten sich die Ur-Hausschweine immer mehr mit europäischen Wildschweinen – höchstens vier Prozent des Schweineerbguts lassen sich noch auf die ursprünglichen Wurzeln zurückführen. Damit hat das Schwein einen so starken genetischen Wandel durchgemacht wie kaum ein anderes Haustier.
Vor rund 12.500 Jahren erfanden unsere Vorfahren in der Region des Fruchtbaren Halbmonds die Landwirtschaft und begannen erstmals, Tiere zu domestizieren. Als sich diese frühen Farmer im Laufe der Zeit immer weiter nach Norden und Westen ausbreiteten, nahmen sie ihre Nutztiere mit. Neben Ziegen und Schafen führten sie auf diese Weise auch die ersten Hausschweine in Europa ein.
Doch was geschah dann? Bisher war unklar, ob unsere modernen Hausschweine tatsächlich die Nachfahren der aus dem Nahen Osten mitgebrachten Tiere sind oder ob die Europäer später noch einmal unabhängig davon die in Europa heimischen Wildschweine domestizierten. Um dieses Geheimnis zu lüften, haben sich Laurent Frantz von der Queen Mary University in London und seine Kollegen nun auf genetische Spurensuche begeben.
Vermischung mit Wildschweinen
Für ihre Studie analysierten die Forscher mitochondriale DNA und Genomsequenzen von archäologischen Schweinefunden und verglichen diese mit dem Erbgut heutiger Haus- und Wildschweine. Die Auswertungen enthüllten: Das moderne Hausschwein geht tatsächlich auf die ersten domestizierten Schweine aus dem Fruchtbaren Halbmond zurück, die vor rund 8.500 Jahren in Europa ankamen.
Bei Hausschweinen, die kurz nach dieser Zeit in Europa lebten, ließ sich dieses Erbe klar im Genom nachweisen. Im Laufe der Zeit aber verschwand der charakteristische genetische Fingerabdruck aus dem Nahen Osten nach und nach, wie das Team feststellte. Die in Europa eingeführten Hausschweine vermischten sich offenbar immer stärker mit lokalen Wildschweinpopulationen.
„Fast ganz ausradiert“
So tragen 7.100 bis 6.000 Jahre alte Hausschweine aus Europa bereits deutliche Erbgutanteile beider Regionen in sich. Danach verliert sich das Erbe der Ur-Hausschweine zusehends: Bei späteren Schweinen beträgt dieser Genanteil den Ergebnissen zufolge nur noch rund vier Prozent oder weniger. „Die weitere Kreuzung mit europäischen Wildschweinen reichte aus, um die ursprüngliche genetische Abstammung von Schweinen aus dem Nahen Osten fast ganz auszuradieren“, erklären die Wissenschaftler.
Zu den wenigen Relikten, die noch auf diesen Ursprung hindeuten, gehört eine Genvariante für die Fellfarbe. Diese Mutation ist bei Hausschweinen offenbar für eine schwarze oder schwarz-weiße Fellfärbung verantwortlich und kommt bei Wildschweinen nicht vor. Lediglich auf einigen Mittelmeerinseln setzte sich ein größerer Anteil des ursprünglichen Erbes in den Genen der Hausschweinpopulationen durch. Wahrscheinlich sorgte die Isolation vom Festland dafür, dass es dort zu weniger Begegnungen mit europäischen Wildschweinen kam, so die Vermutung der Forscher.
Ursprung ist kaum noch nachweisbar
Insgesamt ist das Ausmaß des genetischen Wandels beim Hausschwein den Wissenschaftlern zufolge beispiellos: Zwar lassen sich genetische Einflüsse lokaler Wildpopulationen auf eingeführte domestizierte Tiere auch bei Pferden, Rindern, Hunden und anderen auf dem Kontinent eingeführten Haustieren nachweisen.
„Schweine sind aber die einzige Spezies, die einen so substanziellen genomischen Umschlag erlebt hat, dass ihre ursprüngliche Abstammung in modernen Populationen kaum noch nachweisbar ist“, betonen Frantz und seine Kollegen. Demnach müssen diese Tiere weitaus mehr Kontakt zu ihren wilden Entsprechungen gehabt haben, als dies bei anderen domestizierten Arten wie Rindern oder Hunden der Fall war.
Nicht unabhängig domestiziert
„Alles in allem deuten unsere Ergebnisse daraufhin, dass Schweine in Europa zwar nicht unabhängig domestiziert wurden. Der Großteil der menschenvermittelten Selektion in den vergangenen 5.000 Jahren hat sich aber auf den Genanteil der europäischen Wildschweine konzentriert und nicht auf jenen, den die steinzeitlichen Farmer einst zu Beginn des Domestikationsprozesses auswählten“, resümiert das Team.
„Die initiale Domestikation gilt gemeinhin als der große, wichtige Wandel. Doch unsere Erkenntnisse legen nahe: Die erste Zeit der Schweinedomestikation hat für die Entwicklung der modernen europäischen Hausschweine kaum eine Rolle gespielt“, ergänzt Frantz.
Künftige Untersuchungen sollen nun zeigen, welche weiteren Merkmale heutiger Schweine womöglich auf die wenigen noch erhaltenen Gene ihrer Vorfahren aus dem Osten zurückgehen. „Wir wollen herausfinden, ob die frühen Schweinezüchter ein weiteres Erbe neben der Fellfarbe hinterlassen haben“, schließen die Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1901169116)
Quelle: PNAS/ University of Oxford