Gefährliche Immunität: Antibiotika-Resistenzen verbreiten sich offenbar nicht nur dort, wo diese Mittel eingesetzt werden. Denn unter bestimmten Bedingungen geben Bakterien ihre Resistenzgene auch in Abwesenheit dieser Medikamente weiter, wie Forscher herausgefunden haben. Die Übertragung erfolgt dabei sowohl an Artgenossen als auch an Erreger anderer Arten. Damit ist dem Team zufolge klar: Mit der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes allein lässt sich das weltweite Resistenzproblem nicht lösen.
Antibiotika-Resistenzen sind längst ein weltweites Problem. Viele Bakterien, darunter der berüchtigte Krankenhauskeim MRSA sind inzwischen gegen gleich mehrere Wirkstoffklassen immun. Haben sie einmal eine Resistenz entwickelt, können die Erreger diese nicht nur an ihre eigenen Nachkommen weitergeben. Sie tauschen die entsprechenden Gene auch mit anderen Stämmen und Arten aus. Dies funktioniert unter anderem, indem Mikroben bakterielle Erbguteinheiten aufnehmen – zum Beispiel in Form sogenannter Plasmide.
Bisher dachten Forscher, dass Bakterien ihre Resistenzen vor allem in einer Umgebung mit Antibiotika weitergeben. Denn nur dann ergeben sich dadurch Vorteile für die Mikroben. Sind sie den Mitteln nicht ausgesetzt, bringen ihnen auch die Resistenzgene nichts. Erik Bakkeren von der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich und seine Kollegen haben nun jedoch Hinweise darauf gefunden, dass diese Annahme falsch ist. Demnach verbreiten sich Resistenzen sehr wohl auch ohne Antibiotika.
Schlafende Salmonellen
Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler das Verhalten sogenannter Persister – Bakterien, die in einen temporären Dämmerzustand verfallen und ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunterfahren können. Bei Salmonellen bilden sich diese Schläfer-Formen zum Beispiel, wenn die Bakterien vom Darminneren ins Körpergewebe eingedrungen sind.
Das Besondere: Durch diesen Trick entgehen auch Persister häufig einer Antibiotikabehandlung. Sind die Bedingungen für die Bakterien später wieder günstig, „erwachen“ sie und können eine überstanden geglaubte Infektion erneut zum Aufflammen bringen. Einige Persister sind jedoch gleich zweifach gegen antibiotische Wirkstoffe gewappnet. Neben ihrer Fähigkeit, zum Schläfer zu werden, tragen sie zusätzlich freie Plasmide mit Resistenzgenen in sich.
Weitergabe von Plasmiden
Unter welchen Voraussetzungen reichen die Bakterien diese Resistenzen weiter? Dies testete Bakkerens Team in einem Mausmodell mit Salmonellen. Die Ergebnisse zeigten: Sobald die Krankheitserreger aus ihrem Dämmerzustand erwachten, gaben sie ihre Resistenzgene an andere, für eine Gen-Weitergabe empfängliche Mikroben weiter. Dabei wurde das Genmaterial nicht nur an Individuen der eigenen Art übertragen, sondern auch an andere Spezies wie E. coli-Bakterien.
„Die Resistenzplasmide nutzen also ihr persistentes Wirtsbakterium, um für längere Zeit zu überleben und sich anschließend auf andere Bakterien zu übertragen“, erklärt Bakkerens Kollege Wolf-Dietrich Hardt. Das Entscheidende: Dieser Austausch passierte offenbar völlig unabhängig davon, ob Antibiotika zugegen waren oder nicht. Wie die Forscher beobachteten, gaben die Salmonellen ihre Resistenzen auch in Abwesenheit solcher Mittel weiter.
Antibiotika-Verzicht reicht nicht
Diese Erkenntnis hat ihrer Ansicht nach weitreichende Konsequenzen für die Bekämpfung des Resistenzproblems: „Antibiotika restriktiv einzusetzen ist zwar richtig und wichtig. Diese Maßnahme reicht allerdings nicht aus, um die Verbreitung von Resistenzen zu vermeiden“, konstatiert Mitautor Médéric Diard von der Universität Basel. „Wenn man die Verbreitung von Resistenzgenen eindämmen will, muss man auch bei den resistenten Mikroorganismen selbst ansetzen.“
Deren Verbreitung könne zum Beispiel durch bessere Hygienemaßnahmen oder spezielle Impfungen vermieden werden. Die Wissenschaftler wollen in einem nächsten Schritt nun untersuchen, ob sich ihre bei Mäusen gemachten Beobachtungen bei Nutztieren bestätigen lassen. Denn Schweine und viele andere Nutztiere leiden häufig unter Salmonelleninfektionen. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1521-8)
Quelle: Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich