Astronomie

Neutronenstern-Schwergewicht entdeckt

Millisekundenpulsar liegt nahe der Massenobergrenze für extrem dichte Sternenrelikte

Millisekundenpulsar
Anhand subtiler Verzögerungen seiner Pulse haben Astronomen jetzt einen der schwersten bekannten Neutronensterne aufgespürt. © BSaxton, NRAO/AUI/NSF

Überraschend schwer: Astronomen haben einen der massereichsten bislang bekannten Neutronensterne entdeckt. Das 4.600 Lichtjahre entfernte Sternenrelikt ist nur 30 Kilometer groß, wiegt aber 2,14 Sonnenmassen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Astronomy“ berichten. Damit bewegt sich dieser schnell rotierende Neutronenstern nahe an der theoretisch ermittelten Massenobergrenze für solche Objekte – und das wiederum ermöglicht Rückschlüsse auf die Beschaffenheit seines Inneren.

Neutronensterne gehören zu den dichtesten Objekten im Universum: In diesen nur 15 bis 30 Kilometer großen Überresten massereicher Sterne ist die Materie so stark komprimiert, dass Elektronen mit Protonen zu Neutronen verschmelzen. Durch ihre enorme Schwerkraft können nichtrotierende Neutronensterne gängiger Theorie nach nicht viel schwerer werden als 2,16 Sonnenmassen – sonst kollabieren sie zum Schwarzen Loch.

Shapiro Delay
Shapiro Delay: Die Schwerkraft des Weißen Zwergs im Vordergrund verzögert die Radiopulse des hinter ihm vorbeilaufenden Pulsars. © BSaxton, NRAO/AUI/NSF

Pulsverzögerung als „Waage“

Jetzt haben Astronomen um Thankful Cromartie von der University of Virginia in Charlottesville einen Neutronenstern entdeckt, der sich extrem nahe an der Maximalgrenze für diese ultradichten Objekte bewegt. Es handelt sich um einen Millisekundenpulsar – einen schnellrotierenden Neutronenstern, der regelmäßige, starke Radiopulse aussendet. PSR J0740+6620 liegt rund 4.600 Lichtjahre von der Erde entfernt und bildet mit einem Weißen Zwerg ein Doppelsystem.

Dieser Partner ist es, der den Astronomen die genaue Massenbestimmung des Neutronensterns ermöglichte. Denn wenn der rund 30 Kilometer große Pulsar hinter dem Weißen Zwerg vorbeiläuft, werden seine Radiopulse von der Schwerkraft seines größeren Partners abgelenkt. Dadurch verzögern sich die Pulse um wenige Millisekunden. Aus dieser sogenannten Shapiro-Verzögerung konnten die Forscher mithilfe des Green Banks Radioteleskops erst die Masse des Weißen Zwergs und darüber dann die Masse des Neutronensterns ermitteln.

Massereichster, genau vermessener Neutronenstern

Das Ergebnis: Der Millisekundenpulsar besitzt eine Masse von 2,14 Sonnenmassen. „J0740+6620 ist damit höchstwahrscheinlich der bislang massereichste, genauer vermessene Neutronenstern“, konstatieren Cromartie und seine Kollegen. Zwar haben Astronomen vor kurzem sogar einen Millisekundenpulsar mit 2,27 Sonnenmassen entdeckt, dessen Masse war aber mit einer weniger präzisen Methode geschätzt worden.

Wie die Astronomen erklären, sind jedoch noch zwei andere Millisekundenpulsare bekannt, deren Masse ähnlich genau bestimmt werden konnte wie die von J0740+66. Sie sind nur knapp leichter als der jetzt vermessene Neutronenstern. „Damit ist klar, dass diese massereichen Neutronensterne einen erheblichen Anteil der Population ausmachen – das könnte substanzielle Bedeutung für unser Verständnis der Entwicklung von Millisekundenpulsaren in Doppelsystemen haben“, so Cromartie und sein Team.

Informationen über das exotische Innere

Das Entscheidende daran: Wenn man die maximale Masse eines rotierenden Neutronensterns genau kennt, dann liefert dies wichtige Informationen über die Beschaffenheit seines Inneren. Denn um dem Schwerkraftkollaps zum Schwarzen Loch zu widerstehen, muss das Neutronenstern-Material dicht und gleichzeitig extrem stabil sein. Bisher jedoch können Astronomen nur vermuten, woraus das Innere dieser Sternenreste tatsächlich besteht.

Gängigen Hypothesen nach könnte das Innere der Neutronensterne aus exotischen Materiezuständen ähnlich einem Suprafestkörper, einer superfluiden Flüssigkeit oder auch einem Bose-Einstein-Kondensat bestehen. Auch exotische Teilchenkombinationen wie Tetraneutronen oder sogar ein Material nur aus Quarks werden diskutiert. Allerdings sind einige dieser „Kandidaten“ zu weich und instabil, um sehr massereiche Neutronensterne an oder jenseits der Massengrenze zu erlauben.

Die Suche geht weiter

„Schon kleinste Zunahmen in der gemessenen Masse der Neutronensterne erfordern daher ein Umdenken der fundamentalen Physik, die in ihrem Inneren am Werk ist“, konstatieren die Astronomen. Dies gelte auch für die aktuellen Ergebnisse. Aus diesem Grund versuchen sie und viele ihrer Kollegen herauszufinden, wo nun tatsächlich die absolute Höchstgrenze für einen Neutronenstern liegt.

„Jeder ‚massereichste‘ Neutronenstern, den wir finden, hilft uns, die Physik der Materie bei diesen unvorstellbaren Dichten besser zu verstehen“, erklärt Koautor Scott Ransom vom National Radio Astronomy Observatory (NRAO). (Nature Astronomy, 2019; doi: 10.1038/s41550-019-0880-2)

Quelle: Green Bank Observatory, West Virginia University

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