Vor gut 130 Jahren waren der Nordpol und die zentrale Arktis ein noch immer unerreichtes Ziel. Dutzende Schiffe und Expeditionen hatten bereits versucht, bis zum Pol vorzudringen, waren jedoch an Eis und Kälte der hohen Arktis gescheitert.
Schiffstrümmer als Ideengeber
Doch im Jahr 1884 bringt ein gesunkenes US-Kanonenboot den norwegischen Polarforscher Fridtjof Nansen auf eine ganz neue Idee. In der Tageszeitung liest er, dass Trümmerteile des US-Schiffs „Jeanette“ vor der Südwestküste Grönlands gefunden worden sind. Das Merkwürdige jedoch: Die Jeanette war an der sibirischen Küste gesunken. „Man nahm an, dass sie auf einer Eisscholle quer übers Polarmeer getrieben sein müssten“, berichtet Nansen in seinem Expeditionsbericht „In Nacht und Eis“.
Nansens Schlussfolgerung: Wenn es eine Strömung gibt, die eine Eisscholle quer durch die zentrale Arktis treiben kann, dann müsste sich diese Drift auch für Forschungszwecke nutzen lassen. „Es nutzt nichts, gegen den Strom zu arbeiten, wie es die vorhergehenden Expeditionen gemacht haben. Wir müssen sehen, ob sich nicht ein Strom findet, mit dem wir arbeiten können“, schreibt Nansen. Er beschließt, selbst eine Drift-Expedition auszurüsten und lässt eigens dafür ein Schiff mit besonders stabilem, abgerundetem Rumpf konstruieren – die Fram.
Aufbruch ins Packeis
Mit der Fram und zwölf Begleitern, darunter dem jungen Roald Amundsen, segelt Nansen am 24. Juni 1893 im norwegischen Christiania los. Über die Nordostpassage will er an die sibirische Küste und damit an den Startpunkt seiner Drift-Expedition gelangen. Der Plan: „Dann wählt man einen geeigneten Platz, vertäut das Fahrzeug gut zwischen geeigneten Schollen und lässt das Eis sich um dasselbe auftürmen, soviel es mag. (…)“, so Nansen. „Von jetzt an sorgt der Strom für die Beförderung, während das Schiff nicht länger ein Transportmittel ist, sondern zum Quartier wird, in welchem man reichlich Zeit hat, wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen.“
Tatsächlich wird die Fram im Herbst 1893 wie geplant vom Meereis eingeschlossen und liegt nun auf dem Eis. Doch dieses driftet weit langsamer nordwärts als erhofft. Erst am 2. Februar 1894 überqueren Schiff und Besatzung den 80. Breitengrad. Weil dies Nansen zu langsam geht, macht er sich am 14. März 1895 mit einem Begleiter zu Fuß auf in Richtung Nordpol. Der Rest der Mannschaft aber bleibt auf der Fram und driftet mit ihr weiter durch das Nordpolarmeer.
Nansen schafft es zwar nicht, den Nordpol per Fußmarsch zu erreichen. Doch sein Schiff driftet wie erhofft in einem Bogen einmal quer durch die zentrale Arktis. Im Sommer 1896 erreicht sie das Meeresgebiet nördlich von Spitzbergen und kann aus eigener Kraft nach Norwegen zurückkehren. Die Drift-Expedition der Fram hat damit erstmals eindeutig bewiesen, dass das nordpolare Packeis nicht stationär ist, sondern von einer transpolaren Strömung angetrieben und bewegt wird.
Von der „Fram“ zur „Polarstern“
„Nansen hat damals in einer spektakulären und immer noch wegweisenden Expedition erstmalig diese Eisdrift gezeigt“, sagt MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut (AWI). „Damit hat er eine Pionierleistung vollbracht. Niemand vor ihm ist so weit im Norden gewesen.“
Doch so bahnbrechend Nansens Fram-Expedition auch war – die zentrale Arktis ist noch immer ein weißer Fleck auf den Forschungslandkarten. „Seit Nansen wagte sich kaum jemand im Winter in die zentrale Arktis und in die Transpolardrift“, erklärt Rex. „Es gab nur einige russische Driftcamps mit einfachen Hütten auf Eisschollen und das kleine, in das Eis eingeschlossene Segelschiff Tara einer privaten Organisation. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten auf diesen kleinen Plattformen waren aber begrenzt.“
Das soll die MOSAiC-Expedition nun ändern. Denn mit ihr wird erstmals ein Forschungseisbrecher mit modernster wissenschaftlicher Technik an Bord die Transpolardrift vollziehen. „Wir wiederholen diese Expedition jetzt zum ersten Mal mit einem großen und gut ausgerüsteten Forschungsschiff“, erklärt Rex. „Inmitten der zentralen Arktis arbeiten wir dann mit den besten Messinstrumenten, die die Welt heute zu bieten hat. So können wir die Umweltprozesse in dieser abgelegenen Region zum ersten Mal im Detail erforschen.“
Wie aber wird die moderne Neuauflage von Nansens Drift-Expedition ablaufen?