Mineral als Taktgeber: Ausgedehnte Vorkommen von Pyrit am Meeresgrund könnten eine Schlüsselrolle für den Takt der Eiszeiten gespielt haben, wie ein neues Modell nahelegt. Denn als die Meeresspiegel während der Kaltzeiten sanken, setzte die Verwitterung des Pyrits große Mengen an CO2 frei, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichten. Dies wiederum beschleunigte den Klimawechsel zurück zur Warmzeit – solange genug Pyrit vorhanden war.
Zu Beginn des Eiszeitalters vor rund 2,6 Millionen Jahren pendelte das Klima relativ regelmäßig alle 41.000 Jahre zwischen Kaltzeit und Warmzeit – Taktgeber dafür war vor allem die sich in diesem Zyklus verändernde Neigung der Erdachse. Doch vor rund einer Million Jahren verlangsamte sich der Takt der Eiszeiten plötzlich: Die Kaltzeiten dauerten nun 80.000 bis 120.000 Jahre – zwei bis dreimal so lange wie zuvor. Offenbar löste nicht mehr jeder Erdachsenzyklus eine Rückkehr zur Warmzeit aus – aber warum?
Katzengold am Meeresgrund
Nach einer Antwort auf diese Frage suchen Forscher schon seit den 1970er Jahren. Bisher jedoch gibt es dazu nur Hypothesen, darunter eine Strömungsänderung im Südozean vor rund einer Million Jahren. Eine andere Erklärung könnten nun Martin Kölling vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen und seine Kollegen gefunden haben.
Hauptakteur des neuen Szenarios ist Pyrit (FeS2) – ein Eisensulfid-Mineral, das wegen seiner goldschimmernden Würfelkristalle auch Katzengold genannt wird. Dieses Mineral kommt nicht nur auf dem Festland, sondern auch an hydrothermalen Schloten der Tiefsee und am Meeresgrund der Schelfgebiete vor. Diese Ablagerungen des Katzengolds sind jedoch fein zermahlen und erscheinen daher schwarz statt golden.
Vom Pyrit zur CO2-Freisetzung
Was aber haben diese Pyritablagerungen mit dem Klima zu tun? Schon länger ist bekannt, dass der Pyrit der Schelfgebiete chemisch verwittert, wenn er mit Luft in Berührung kommt – beispielsweise wenn diese flachen Meeresgebiete trockenfallen. Der Pyrit wird dann oxidiert und es entsteht unter anderem Schwefelsäure. Diese wiederum kann Carbonatgestein lösen und so zur Freisetzung von Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre führen.
Während der Kaltzeiten lief dieser Prozess wahrscheinlich an vielen Schelfgebieten der Erde ab, wie Kölling und sein Team erklären. Denn durch das im Eis gebundene Wasser sanken die Meeresspiegel um teils mehr als hundert Meter ab. Weltweit lagen dadurch zeitweilig mehr als 20 Millionen Quadratkilometer Schelf trocken und ermöglichten die Pyrit-Oxidation.
Pyritverwitterung als Eiszeit-Stopper
Wie die Forscher mithilfe eines Modells ausrechneten, könnten die Schelfgebiete während der Eiszeiten so viel CO2 freigesetzt haben wie alle Vulkane der Welt zusammen – rund 12 bis 36 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahrtausend. „Global handelt es sich dabei um eine für das Klimasystem wirksame Menge“, sagt Kölling. „Wir vermuten aufgrund unserer Berechnungen, dass dieser Prozess dabei geholfen hat, die Eiszeiten zu beenden.“
Wie die Forscher erklären, erreichte die Pyritverwitterung in den Schelfgebieten ihren Höhepunkt immer dann, wenn die Eismenge am größten und die Meeresspiegel an niedrigsten waren – am glazialen Maximum. Der durch die Verwitterung verursachte CO2-Einstrom verstärkte jedoch den Treibhauseffekt der Atmosphäre und führte so dazu, dass das Klima wieder in Richtung Warmzeit umschwang – sozusagen als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Nach Ansicht von Kölling und seinem Team könnte die Pyritverwitterung damit ein bislang unbeachteter Prozess sein, der über den Treibhauseffekt indirekt das Eiszeitende steuerte.
Ursache für den Taktwechsel?
Noch interessanter jedoch: Die Pyritverwitterung könnte auch eine Erklärung für den Taktwechsel der Eiszeiten liefern. Denn wie die Forscher erklären, kann sich der Pyrit bei erneuter Wasserbedeckung wieder regenerieren – aber nur, wenn er lange genug überflutet ist. Ihrem Modell zufolge reichte die Dauer der Warmzeiten dafür jedoch nicht ganz aus. Dadurch wurde nur noch in tieferen, länger überfluteten Schelflagen Pyrit nachgebildet und die sogenannte Pyrit-Oxidationsfront rückte in immer größere Tiefen.
Die Folge: Zur Zeit des Eiszeit-Taktwechsels lagen die Pyritvorkommen so tief, dass sie in manchen Kaltzeiten nicht mehr freigelegt wurden. Dadurch blieb der Treibhausgas-Schub durch die Pyritverwitterung aus und das Klima schaffte es auch beim Beginn eines neuen Zyklus der Erdachsenneigung nicht, in eine Warmzeit zu wechseln – die Kaltzeit dauerte daher nun zwei oder sogar drei Zyklen.
„Pyritlücke“ in Bohrkernen könnte Beleg liefern
Sollte sich dieses Szenario bestätigen, könnten die Pyritvorkommen in den Schelfgebieten entscheidend zur Verlängerung der Kaltzeiten vor rund einer Million Jahre beigetragen haben. Noch allerdings fehlen dafür die Belege. Doch Kölling und sein Team haben schon eine Idee, wo sich diese finden lassen: „Künftigen Bohrungen in den marinen Schelfgebieten könnten eine ‚Pyritlücke‘ enthüllen“, erklären sie.
Dieser Mangel an Pyrit in bestimmten Schichten müsste in der Tiefe liegen, in der die eiszeitlichen Pyritvorkommen einst verwitterten, aber nicht wieder regeneriert werden konnten. Sollte diese Lücke tatsächlich existieren, wäre dies zumindest ein starkes Indiz für die Richtigkeit des Pyrit-Szenarios. (Nature Geoscience, 2019; doi: 10.1038/s41561-019-0465-9)
Quelle: Nature Geoscience, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen