Falsche Richtung: Astronomen haben ein supermassereiches Schwarzes Loch entdeckt, dessen Materiescheibe äußerst ungewöhnlich ist. Denn ein Teil des rasend schnell kreisenden Gases rotiert falsch herum – entgegengesetzt zur Richtung des Lochs und der Wirtsgalaxie. Wie dieser gegenläufige Gasring zustande kam, ist noch unklar. Fest steht aber, dass diese ungewöhnliche Konfiguration nicht auf Dauer stabil ist – sie wird kollabieren.
Im Zentrum der meisten Galaxien sitzt ein supermassereiches Schwarzes Loch – auch im Herzen unserer Milchstraße. Umgeben sind die Schwerkraftgiganten von einem Ring aus schnell kreisenden Gasen – teilweise unmittelbar außerhalb des Ereignishorizonts, teilweise weiter außen. Typischerweise bewegt sich dabei alle Materie in dieser Akkretionsscheibe ums Schwarze Loch in derselben Richtung – so jedenfalls dachte man bisher.
Äußerer Teil der Materiescheibe kreist falsch herum
Doch nun haben Astronomen um Violette Impellizzeri vom National Radio Astronomy Observatory (NRAO) ein supermassereiches Schwarzes Loch entdeckt, das nicht ins Bild passt. Für ihre Studie hatten sie den aktiven Kern der rund 47 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie NGC 1068 mit den Teleskopen des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) in Chile untersucht. Das Schwarze Loch im Galaxienzentrum ist aktiv und von einem Ring aus schnellem Gas umgeben.
Das Überraschende jedoch: Die ALMA-Aufnahmen zeigen zwei in entgegengesetzte Richtungen kreisende Gasringe um dieses Schwarze Loch. Der innere Ring ist zwei bis vier Lichtjahre breit und rotiert in der gleichen Richtung wie die gesamte Galaxie. Der äußere, vier bis 22 Lichtjahre breite Ring dagegen kreist „falsch herum“ um das Schwarze Loch – gegen die Rotationsrichtung der Galaxie.
Gaswolke oder Zwerggalaxie als Störfaktor?
„Das haben wir nicht erwartet, denn Gas, das in ein Schwarzes Loch fällt, würde normalerweise nur in eine einzige Richtung rotieren“, erklärt Impellizzeri. „Irgendetwas muss diesen Strom gestört haben, denn es ist für einen solchen Teil der Scheibe unmöglich, völlig von allein plötzlich falsch herum zu rotieren.“ Bisher sind solche Gegenrotationen nur aus den Außenbereichen einiger Galaxien bekannt. „Sie resultieren fast immer aus der Kollision oder der Wechselwirkung zwischen zwei Galaxien“, erklärt Koautor Jack Gallimore von der Bucknell University.
Doch was war im Fall des Schwarzen Lochs der Störeffekt? Die Astronomen vermuten, dass der äußere, falsch herum rotierende Gasring aus Materie entstand, die erst nachträglich vom Schwarzen Loch angezogen wurde. „Es könnte sich um eine Gaswolke aus der Wirtsgalaxie handeln oder um eine eingefangene Zwerggalaxie“, so Impellizzeri und ihr Team. Der geballte Einstrom dieses Materials führte dazu, dass dieses Gas seine Gegenrotation beibehält – bislang.
Ein Kollaps ist unausweichlich
Allerdings: Diese ungewöhnliche Zweiteilung der Gasscheibe wird nicht auf Dauer stabil bleiben, wie die Astronomen erklären. Denn die Schwerkraft des Schwarzen Lochs wird das Material des gegenrotierenden Außenrings im Laufe der Zeit weiter nach innen ziehen. „Das könnte schon nach einigen Orbits oder aber erst in einigen hunderttausend Jahren passieren“, sagt Gallimore. „Dann werden die Gasströme kollidieren und instabil werden und die gesamte Scheibe könnte in einem Strahlenausbruch kollabieren und vom Schwarzen Loch verschlungen werden.“ Bis es jedoch soweit ist, könnte es noch einige zehntausend Jahre dauern.
Schon jetzt jedoch liefern die beiden Gasringe und ihr möglicher Kollaps den Astronomen wertvolle Hinweise auf ein weiteres kosmisches Phänomen: das ungewöhnlich schnelle Wachstum einiger supermassereicher Schwarzer Löcher. Wie die Forscher erklären, könnte die Erklärung in genau diesem Prozess liegen – dem Kollaps zweier gegensätzlich rotierender Gasringe.
„Gegenrotierende Gasströme sind instabil und das bedeutet, dass ihre Materie schneller ins Schwarze Loch fällt als bei einer Materiescheibe mit nur einer Rotationsrichtung“, erklärt Impellizzeri. Dadurch bekommt das Schwarze Loch mehr „Futter“ und kann schneller wachsen. (The Astrophysical Journal, 2019; doi: 10.3847/2041-8213/ab3c64)
Quelle: National Radio Astronomy Observatory