Erschütternde Nebenwirkung: Auch Hurrikans und Tropenstürme können Erdbeben auslösen, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach erzeugen manche Stürme langanhaltende seismische Wellen im Meeresgrund, die einem Beben der Magnitude 3.5 entsprechen. Solche Sturmbeben entstehen jedoch nur dort, wo die Ozeantopografie die Übertragung der Sturmenergie ins Meer und in den Untergrund unterstützt, wie die Forscher im Fachmagazin „Geology“ berichten.
Typischerweise werden Erdbeben dadurch verursacht, dass das Gestein an Plattengrenzen durch die Spannung bricht. Aber auch Vulkanausbrüche, Rutschungen, Meteoriteneinschläge oder Explosionen können heftige Beben auslösen. Die sensiblen Instrumente seismischer Messnetze registrieren daher jeden Tag eine Vielzahl von seismischen Erschütterungen rund um den Globus.
„Sandy“ lässt die Erde beben
Es gibt aber noch ein Phänomen, das Erdbeben verursachen kann: Stürme. Schon beim Supersturm Sandy im Herbst 2012 hatten seismologische Messstationen in Nordamerika ungewöhnliche Erschütterungen aufgezeichnet. Sie entsprachen denen eines Erdbebens der Magnitude zwei bis drei und folgten dem Pfad des Sturmes entlang der US-Ostküste. Offenbar hatte die enorme Energie des Sturms sich durch den Ozean bis in den Untergrund fortgepflanzt.
Doch ist Sandy nur ein Einzelfall oder steckt mehr dahinter? Das haben nun Wenyuan Fan von der Florida State University und seine Kollegen näher untersucht. Dafür analysierten sie fast 15 Jahre an Daten von seismischen Ozean-Messnetzen aus verschiedenen Meeresgebieten weltweit. In den seismischen Aufzeichnungen suchten sie dabei gezielt nach Erschütterungen, deren Form und Abfolge nicht zu den herkömmlichen Bebenauslösern passt.
10.000 Sturmbeben allein in Nordamerika
Das überraschende Ergebnis: Die Forscher fanden mehr als 10.000 Erdbeben, die wahrscheinlich durch starke Stürme verursacht wurden – und dies allein in den Ozeanen rund um den nordamerikanischen Kontinent. Typisch für solche „Sturmbeben“ sind demnach sogenannte Rayleigh-Wellen: rollende Oberflächenwellen, die jeweils 20 bis 50 Sekunden lange Pakete bilden, wie Fan und sein Team berichten. Im Gegensatz zu tektonischen Beben können diese Erschütterungen mehrere Stunden bis sogar Tage anhalten.
„Diese Sturmbeben sind ein ganz neu identifiziertes Phänomen“, sagen die Forscher. „Wir waren uns vorher ihrer Existenz nicht bewusst.“ Wie sie herausfanden, bewegen sich die Sturmbeben zwar mit den Stürmen mit, werden aber immer wieder an bestimmten Stellen konzentriert. An solchen Fokuspunkten können die seismischen Erschütterungen dann Magnituden von mehr als 3,5 erreichen, wie die Messdaten enthüllten.
Auf den Meeresgrund kommt es an
Merkwürdig jedoch: Nicht jeder starke Sturm verursacht ein Sturmbeben und nicht in jeder Region kommen sie vor. So scheinen solche Erschütterungen besonders häufig vor der Küste von Neuengland, Florida und im Golf von Mexiko aufzutreten und auch vor Neufundland und British Columbia kommen sie vor, wie die Forscher feststellten. Keine Hinweise auf Sturmbeben fanden sie dagegen vor Mexiko und entlang der US-Ostküste von Georgia bis New Jersey.
Aber warum? Die Wissenschaftler vermuten, dass dies mit der Topografie des Meeresgrunds zusammenhängt. Demnach entstehen diese seismischen Erschütterungen nur dort, wo das Wechselspiel von Meer und Untergrund besonders langperiodische oder sogar stehende Ozeanwellen hervorruft – beispielsweise an flachen Meeresrücken am Rand der Kontinentalschelfe. Dort überträgt sich die Energie der Ozeanwellen auf den Untergrund – und löst die Sturmbeben aus.
„Viele Fragen offen“
„Dieses neue Phänomen unterstreicht, dass wir auch im Ozean Erdbebenquellen haben, nicht nur in der Erdkruste“, sagt Fan. „Noch gibt es aber eine Menge offene Fragen.“ So muss nun geklärt werden, wie genau die Ozeanwellen beschaffen sind, die die Sturmenergie auf den Untergrund übertragen und welche Strukturen am Meeresgrund diese Erschütterungen besonders gut fokussieren und verstärken.
Gleichzeitig jedoch könnten sich diese Sturmbeben auch als hilfreiches Werkzeug für die Erkundung von Meer und Untergrund erweisen. Denn mithilfe solcher „stürmischen“ Erschütterungen könnten die Forscher beispielsweise die Dynamik von Sturmwellen im Ozean untersuchen oder den Untergrund seismisch auch dort durchleuchten, wo es kaum tektonische Beben gibt. (Geophysical Research Letters, 2019; doi: 10.1029/2019GL084217)
Quelle: Florida State University