Forscher haben in Russland die Fossilien eines der frühesten Tetrapoden entdeckt – eines vierbeinigen Wirbeltiers. Das vor 372 Millionen Jahren lebende Tier besaß bereits Beine statt Flossen und Augen, die an das Sehen in der Luft angepasst waren. Dennoch lebte Parmastega aelidae wahrscheinlich im Wasser – seine Beine waren noch nicht stabil genug für den Landgang, berichten die Paläontologen im Fachmagazin „Nature“.
Vor gut 390 Millionen Jahren entwickelten sich aus Fischen die ersten Tetrapoden – Wirbeltiere, die vier Beine statt der paarigen Fischflossen besaßen. Dies schuf die entscheidende Voraussetzung für den Landgang der Wirbeltiere und damit einen Meilenstein der Evolution. Doch wie der erste Vierbeiner aussah und wie er lebte, ist bislang ungeklärt. Denn von den frühesten Vertretern dieser Tiergruppe sind bisher nur fossile Fußspuren und einige Knochenfragmente bekannt.
Von urzeitlichen Tetrapoden wie Ichthyostega und Acanthostega sind zwar bessere Fossilien erhalten, sie sind aber erst 360 Millionen Jahre alt – und stammen damit aus einer Zeit, in der sich die Vierbeiner schon weiterentwickelt und weltweit ausgebreitet hatten. Über die Natur der allerersten Tetrapoden verraten sie daher nur wenig.
Beine statt Flossen
Jetzt haben Paläontologen in Russland Fossilien entdeckt, die von einem der ältesten bekannten Tetrapoden stammen – und die weit vollständiger sind als ähnlich alte Funde. Pavel Beznosov vom Komi Forschungszentrum in Syktyvkar und seine Kollegen entdeckten die rund 372 Millionen Jahre alten Knochen in einer feinkörnigen Kalksteinformation. Die Relikte stammen von den Schädeln und Oberkörpern von mindestens elf Individuen einer neuen, zuvor unbekannten Tetrapodenart.
Dieser Parmastega aelidae getaufte Vierbeiner unterschied sich bereits deutlich von den urzeitlichen Fischen. „Die Morphologie des Schultergürtels spricht stark dafür, dass Parmastega schon Beine statt paarigen Flossen besaß“, berichten die Forscher. Der Schädel dieses Tieres ähnelte dem des Acanthostega, es besaß aber größere, spitzere Zähne und große, weit oben am Kopf stehende Augen – wie bei heutigen Krokodilen.
Augen fürs Land, aber weiche Knie
Doch wo lebte dieser Ur-Vierbeiner? Wagte er sich schon an Land oder war er noch ein Wasserbewohner, der nur anatomisch den ersten Landwirbeltieren glich? Eine Antwort auf diese Fragen liefert das auffällige Fehlen von Beinknochen, Rippen, Wirbeln oder Hüftknochen in den Fossilfunden. Weil sonst sogar feinste Knöchelchen konserviert waren, vermuten die Forscher, dass diese Skelettteile bei Parmastega nicht verknöchert, sondern noch knorpelig waren.
Das aber bedeutet, dass diese Tiere höchstwahrscheinlich noch nicht an Land umherliefen, wie die Paläontologen erklären. Denn die Beine von Parmastega waren wahrscheinlich zu weich, um das volle Gewicht seines Körpers außerhalb des Wassers tragen zu können. Auch die Augen an der Kopfoberseite und ein noch gut ausgebildetes Seitenlinienorgan sprechen für eine vorwiegend aquatische Lebensweise.
Wen jagte Parmastega?
„Parmastega gibt uns damit den ersten detaillierteren Blick auf einen frühen Tetrapoden: Er war ein wasserlebendes, an der Oberfläche schwimmendes Raubtier von wenig mehr als einem Meter Länge, das in einer tropischen Lagune lebte“, berichten Beznosov und sein Team. Trotz seiner aquatischen Lebensweise besaß Parmastega aber schon Beine statt Flossen und Augen, die an das Sehen in der Luft angepasst waren.
„Das deutet darauf hin, dass dieses Tier durchaus schon mit seiner terrestrischen Umgebung interagierte“, so die Forscher. Unklar ist allerdings, wie und warum. Denn wenn Parmastegas Beine noch zu schwach waren, um ihn außerhalb des Wassers zu tragen, dann kann er seine Beute nicht an Land gesucht und gejagt haben. Wenn er aber Fische und andere Wassertiere fraß, stellt sich die Frage, warum er Augen benötigte, die außerhalb des Wassers sehen konnten.
Viele Fragen offen
Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, suchte dieser Ur-Tetrapode nach Fischkadavern oder Fischen, die am Lagunenufer gestrandet waren. Er könnte auch im Wasser gelauert und dann am Ufer trinkende oder ruhende Beute ins Wasser gezogen haben – ähnlich wie heute Krokodile. Das allerdings weckt die Frage, welche Beute Parmastega jagte, denn Vögel und landlebende Vierbeiner gab es noch nicht.
„Diese Entdeckung erinnert uns daran, wie viel es in dieser spannenden Detektivgeschichte noch zu lernen gibt „, schreiben Nadia Fröbisch und Florian Witzmann vom Naturkundemuseum Berlin in einem begleitenden Kommentar. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1636-y)
Quelle: Uppsala University