Kosmischer „Yeti“: Astronomen könnten ein lang gesuchtes Bindeglied der kosmischen Evolution entdeckt haben – eine frühe Riesengalaxie. Die 12,5 Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie hat eine hundertfach höhere Sternbildungsrate als die Milchstraße. Sie könnte damit ein Vorläufer der ersten Massegiganten des Kosmos gewesen sein. Gleichzeitig ist sie so stark von Staub verhüllt, dass erst die ALMA-Teleskope sie aufspüren konnten.
In den letzten Jahren haben Astronomen immer wieder verblüffend massereiche Galaxien, Quasare und Galaxienhaufen aus dem frühen Kosmos entdeckt. Obwohl diese Sternansammlungen wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden, waren sie schon echte Massegiganten. Das Seltsame nur: Direkte Vorläufer dieser frühen Riesen konnten die Astronomen bisher nicht finden. Die wenigen bisher bekannten Kandidaten wachsen nicht schnell genug, um die Entstehung der extrem massereichen Gebilde erklären zu können.
Mysteriöser Lichtfleck
Doch jetzt könnten Astronomen einen dieser lange gesuchten Vorläufer gefunden haben. Entdeckt haben ihn Christina Williams von der University of Arizona und ihre Kollegen durch Zufall. Als sie Aufnahmen des Atacama Large Millimeter Array (ALMA) im langwelligen Bereich von drei Millimetern auswerteten, fiel ihnen ein schwacher heller Fleck auf. „Es war sehr mysteriös, weil dieses Licht mit keiner bekannten Galaxie verknüpft zu sein schien“, berichtet Williams.
„Als ich dann sah, dass dieses Objekt in jeder anderen Wellenlänge unsichtbar war, wurde es wirklich spannend“, so die Astronomin. „Denn das bedeutet, dass es wahrscheinlich weit entfernt und von Staubwolken verhüllt war.“ Nähere Analysen bestätigten dies: Es handelte sich offenbar um eine frühe, 12,5 Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie, die sich nur über die Wärmeabstrahlung der sie verhüllenden Staubwolken verrät.
Massereich und hochgradig aktiv
Das Besondere jedoch: „Wir fanden heraus, dass diese Galaxie eine massereiche Monstergalaxie mit so vielen Sternen wie die Milchstraße ist – aber fast platzend vor Aktivität und mit einer hundertfach höheren Sternbildungsrate als unsere eigene Galaxie“, berichtet Koautor Ivo Labbé von der Swinburne University of Technology im Melbourne. Darin unterscheidet sich diese „Monstergalaxie“ von allen anderen bisher bekannten lichtschwachen Galaxien des frühen Kosmos.
Nach Ansicht der Astronomen könnte diese 3MM-1 getaufte Galaxie damit einen der lange gesuchten Vorläufer für die größten Galaxien des frühen Kosmos darstellen. „Unsere verborgene Monstergalaxie hat genau die richtigen Zutaten, um dieses Missing Link zu sein“, sagt Williams. Denn im Gegensatz zu bisherigen Funden bringt sie einerseits genügend Masse mit und ist andererseits aktiv genug, um die noch größeren Masseansammlungen hervorbringen zu können.
Spitze eines Eisbergs?
Die dichte Staubhülle um diese frühe Monstergalaxie könnte zudem erklären, warum bisher keine anderen solcher Vorläufergalaxien gefunden wurden: Sie sind so gut verhüllt, dass nur die extrem langwelligen und trotzdem sensiblen Sensoren von ALMA ihre schwache Wärmestrahlung detektieren können. Trotz ihrer großen Masse und Aktivität blieben diese Galaxien daher anderen Teleskopen verborgen.
„Das weckt die Frage, ob diese Galaxie vielleicht nur die Spitze eines Eisbergs ist“, sagt Koautorin Kate Whitaker von der University of Massachusetts in Amherst. „Möglicherweise gibt es eine ganze Population dieses völlig neuen Galaxientyps dort draußen, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden.“ Denn bisher hat ALMA in diesem Wellenbereich nur einen winzigen Himmelsausschnitt durchmustert – er entspricht nur einem Hundertstel der Fläche des Vollmonds.
Noch ist daher unklar, ob der Fund dieser ungewöhnlichen Monstergalaxie nur ein Einzelfall war oder aber ein Hinweis darauf, dass solche frühen Vorläufergalaxien häufiger vorkommen. Mehr Klarheit bringen könnte in dieser Frage auch das 2021 startende James-Webb-Weltraumteleskop der NASA. „Dieses Teleskop wird so gut durch die Staubschleier hindurchblicken können, dass wir erfahren werden, wie groß diese Galaxien wirklich sind und wie schnell sie wachsen“, sagt Williams. (Astrophysical Journal, 2019; doi: 10.3847/1538-4357/ab44aa)
Quelle: University of Arizona, University of Massachusetts at Amherst