Medizin

Seltene Krankheiten betreffen Millionen

Vier bis sechs Prozent der Weltbevölkerung leben mit einer seltenen Erkrankung

Seltene Krankheiten
Seltene Krankheiten betreffen einer gängigen Definition zufolge höchstens eine von 2.000 Personen. © Fotografia Basica/ iStock.com

Stiefkinder der Medizin: Weltweit sind mindestens rund 300 Millionen Menschen von sogenannten Seltenen Krankheiten betroffen, wie eine Studie zeigt. Diese oft vernachlässigten und kaum erforschten Leiden sind damit insgesamt betrachtet alles andere als selten. Die wahre Patientenzahl könnte das nun errechnete Ergebnis sogar noch deutlich übersteigen. Denn zu vielen Seltenen Krankheiten gibt es kaum belastbare Daten.

Sie sind das Gegenteil von Volkskrankheiten: Seltene Krankheiten betreffen einer gängigen Definition zufolge höchstens eine unter 2.000 Personen. Patienten mit Leiden wie Chorea Huntington, Marfan-Syndrom oder Neurofibromatose sind daher selbst für Mediziner Exoten und müssen oft lange auf die richtige Diagnose warten. Doch auch wenn die Ursache gefunden ist, gibt es längst nicht für jeden Betroffenen eine Therapie.

Dies liegt auch daran, dass die Erforschung Seltener Krankheiten lange Zeit vernachlässigt wurde. Selbst die Häufigkeit dieser Erkrankungen war bisher nur ungefähr bekannt. „Solche Informationen aber sind nötig, um die mit diesen Leiden verbundene soziale Last abschätzen und das Patientenmanagement verbessern zu können“, erklären Stéphanie Nguengang Wakap vom nationalen Institut für Gesundheit und Medizinforschung (Inserm) in Paris und ihre Kollegen.

Wie häufig sind die Exoten?

Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler nun die Verbreitung Seltener Krankheiten genauer unter die Lupe genommen – mithilfe von Orphanet. In dieser Datenbank sind wissenschaftliche Daten zu über 6.000 Seltenen Krankheiten gebündelt. Die Forscher konzentrierten sich für ihre Studie auf 3.585 dieser Leiden. Seltene Krebsarten und seltene, durch Infektionen oder Vergiftungen ausgelöste Erkrankungen schlossen sie aus ihrer Analyse aus.

Die Ergebnisse offenbarten: Weltweit sind zwischen 3,5 und 5,9 Prozent der Bevölkerung von den untersuchten Krankheiten betroffen. Das entspricht 263 bis 446 Millionen Menschen. In der Europäischen Union gibt es mindestens zwischen 18 und 30 Millionen Patienten, wie die Berechnungen ergaben.

Zahlen noch unterschätzt

„Zusammen betrachtet, betreffen Seltene Krankheiten einen großen Anteil der Bevölkerung“, konstatiert Nguengang Wakaps Kollegin Ana Rath. „Zwar ist jede dieser Erkrankungen speziell und einzigartig. Doch was sie gemeinsam haben, ist ihre Seltenheit – und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.“

Wie die Forscher betonen, unterschätzen ihre Ergebnisse die tatsächliche Häufigkeit Seltener Krankheiten wahrscheinlich noch deutlich. „Zu vielen Seltenen Krankheiten lassen sich nur schwer Daten finden und in etlichen Ländern gibt es keine nationalen Register“, erklärt Rath. Hinzu kommt, dass einige Leiden wie seltene Tumorerkrankungen gezielt aus der Untersuchung ausgeschlossen wurden. „Unsere Daten beziehen sich auf 67,6 Prozent der verbreiteten Seltenen Krankheiten“, so das Team.

„Keinen zurücklassen“

Bei ihren Analysen fanden die Wissenschaftler auch heraus, dass jeweils rund 70 Prozent der in Orphanet aufgeführten Seltenen Krankheiten genetisch bedingt sind und sich bereits in der Kindheit manifestieren. Zudem zeichnete sich ab: Selten ist nicht gleich selten. So sind nur 149 der für die Studie untersuchten Erkrankungen für 80 Prozent der weltweit bekannten Fälle Seltener Krankheiten verantwortlich.

Damit betroffene Patienten in Zukunft bessere Chancen auf schnelle Diagnosen und wirkungsvolle Therapien haben, wollen Nguengang Wakap und ihre Kollegen die Erforschung dieser Stiefkinder der Medizin weiter vorantreiben. Glücklicherweise beschäftigen sich inzwischen immer mehr wissenschaftliche Netzwerke gezielt mit Seltenen Krankheiten und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat spezielle Programme für diese Leiden ins Leben gerufen.

„Das Wissen über Seltene Krankheiten zu erweitern ist wichtig, damit künftig kein Patient mehr zurückgelassen wird“, so das Fazit der Forscher. (European Journal of Human Genetics, 2019; doi: 10.1038/s41431-019-0508-0)

Quelle: INSERM

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