So schwankend und veränderlich uns das Klima auch manchmal scheint – seit der letzten Eiszeit leben wir in einer relativ stabilen Phase des Erdsystems. Ein komplexes System von Rückkopplungen sorgt dafür, dass wir weder eine neue Kaltzeit mit Gletschervorstößen bis nach Mitteleuropa erleben, noch eine extreme Warmzeit mit globalem Tropenklima wie vor rund 55 Millionen Jahren. Stattdessen hat sich die globale Mitteltemperatur in den letzten rund 10.000 Jahren bei etwa 15 Grad Celsius eingependelt.
Kleine Schwankungen – große Wirkung
Erst dieser stabilen Klimaphase verdanken wir es, dass sich die menschlichen Zivilisationen so rapide und weit entwickeln konnten. Denn das vergleichsweise milde Klima erlaubte unseren Vorfahren im fruchtbaren Halbmond den Anbau der ersten Nutzpflanzen und die Entwicklung der Landwirtschaft. Diese wiederum schuf die Voraussetzungen für das Wachstum der Bevölkerung, die Gründung von Städten und komplexeren Gesellschaften.
Umgekehrt demonstriert die Geschichte aber auch, wie dramatisch sich schon kleinste, regionale Abweichungen von diesem Gleichgewicht auswirken können: Vor rund 4.000 Jahren brachte der schwächer werdende Monsun die Harappa-Kultur im Nordwesten des Indischen Subkontinents zu Fall – eine der drei großen frühen Hochkulturen der Menschheit. Vor 3.200 Jahren führte im Mittelmeerraum eine ungewöhnlich trockene Phase zum Niedergang von bronzezeitlichen Hochkulturen wie den Mykenern und Hethitern und setzte auch dem ägyptischen Reich stark zu.
Und bei uns in Mitteleuropa sorgte ein im 15. Jahrhundert beginnender Abfall der regionalen Mitteltemperaturen um nur rund ein Grad für die „Kleine Eiszeit“ – eine rund 300 Jahre andauernde Periode ungewöhnlich kühler, nasser Sommer und kalter Winter. Die Folge waren Missernten, Hungersnöte, soziale Unruhen und auch Kriege.
„Kippschalter“ im Klimasystem
Doch so katastrophal diese „Ausreißer“ des Klimas für unsere Vorfahren waren, für das Klimasystem der Erde stellen sie nur kleine, regionale und vorübergehende Schwankungen um den Gleichgewichtswert dar. Was aber wäre, wenn sich das Grundgleichgewicht verschiebt? Und wodurch könnte dies geschehen?
Eine Schlüsselrolle dafür spielen die sogenannten Kippelemente, englisch „Tipping Points“, wie Klimaforscher um Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) vor rund 20 Jahren erkannten. Demnach gibt es Komponenten im Erdsystem, die besonders sensibel schon auf kleine Veränderungen reagieren und bei Überschreiten eines Schwellenwerts abrupt in einem ganz neuen Zustand wechseln können – ähnlich einem Kippschalter.
Ein neues Gleichgewicht
Vergleichbar ist das Verhalten der Kippelemente mit einer Murmel, die in einer Senke am Berghang liegt. Solange sie nur ein wenig verschoben wird, rollt sie immer wieder in diese Senke zurück – das Gleichgewicht pendelt sich wieder ein. Doch wird diese Murmel über den Rand der Senke geschoben, rollt sie weiter den Berg hinab, bis sie in einer tiefer gelegenen Senke liegen bleibt. Sie hat damit einen neuen stabilen Gleichgewichtszustand erreicht – aber einen deutlich anderen als zuvor.
Was aber bedeutet dies konkret für unser Klimasystem?